24. Oktober 2025 - 20.58 Uhr
GroßbritannienDem britischen Premier Starmer setzen Wahlvolk und Parteigenossen zu
Herzlich empfing der britische Premierminister in London den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Gemeinsam leiteten die beiden das hybride Treffen der „Koalition der Willigen“ mit zwei Dutzend Teilnehmern. Dabei machte der Brite, wie seine Medienleute vorab stolz behaupteten, Druck auf die Partner: mehr Waffen und eingefrorene russische Milliarden für die Ukraine, neue Sanktionen gegen den Aggressor – London gefiel sich in der Lieblingsrolle als Antreiber gemeinsamer europäischer Außenpolitik jenseits des Brüsseler Clubs. „Die Sicherheit der Ukraine geht uns alle an“, betonte der Labour-Mann.
Soweit, so einfach. Zurückgekehrt vom Gipfel, sah sich Starmer mit innenpolitischer Mühsal konfrontiert. Auch im zweiten Jahr ihrer Amtszeit will der Labour-Regierung kaum etwas gelingen. Ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm kommt nicht voran, eine Reform der explodierenden Sozialausgaben liegt auf Eis, dem maroden Gesundheitssystem droht ein neuer Streik der Krankenhausärzte.
An der Wahlurne erleidet Labour eine Schlappe nach der anderen. Am Donnerstag beendeten die Menschen im walisischen Wahlkreis Caerphilly eine lange Tradition: Seit mehr als 100 Jahren hatte hier stets die Arbeiterpartei triumphiert. Bei der Nachwahl zum walisischen Regionalparlament Senedd aber landete Labour mit elf Prozent abgeschlagen auf Rang drei hinter dem siegreichen Kandidaten der Linksnationalisten von Plaid Cymru (47) und der Reform-Party (36) des Rechtspopulisten Nigel Farage. Den herkömmlichen Parteien stehen nicht nur in Wales schwere Probleme bevor, prophezeit Robert Ford von der Uni Manchester: „Das Zwei-Parteien-System ist vorbei.“
Das Ergebnis von Caerphilly ist ein mehr als deutliches Menetekel für die seit 26 Jahren in Cardiff regierende Labour-Regionalregierung unter Ministerpräsidentin Eluned Morgan. Kaum denkbar, dass sie bei der kommenden Wahl im Mai ihre Position verteidigen kann. Schlimmes bedeutet dies auch für die Gesamtpartei, schließlich zählte Wales bisher zu Labours Kernland, Dutzende von Unterhaus-Mandatsträgern kommen von dort.
Labour-Mitglieder wandern ab
Für Starmer gesellt sich zur Ablehnung durch die Wähler aller Voraussicht nach an diesem Samstag ein weiteres, nämlich innerparteiliches Problem. Nach dem Rücktritt von Angela Rayner im September war eine Neuwahl der Partei-Vizechefin nötig geworden. Die Strategen der Downing Street schickten Bildungsministerin Bridget Phillipson ins Rennen; als Favoritin aber etablierte sich rasch Lucy Powell, die der Premier erst vor zwei Monaten wegen Illoyalität aus dem Kabinett geworfen hatte.
Zu Tausenden sind Labour-Mitglieder in den vergangenen Monaten abgewandert, haben sich den neuerdings dynamischen Grünen angeschlossen oder warten geduldig auf das neue Vehikel des einstigen Hoffnungsträgers Jeremy Corbyn. Die Treugebliebenen dürften nun ihrem Partei- und Regierungschef den Stinkefinger zeigen, was gewiss nicht am besonderen Glanz der Abgeordneten aus Manchester liegt. Vielmehr dient Powell als Symbol für die Unzufriedenen, zumal jene vom linken Flügel der Partei, die sich von Starmer und seinem engsten Beraterteam ausgeschlossen fühlen.
Der Premierminister wird bei der Verkündung des Ergebnisses am Samstagmittag gute Miene zum bösen Spiel machen und sich anschließend rasch auf seinen Landsitz Chequers zurückziehen. Ganz generell scheint dem 63-Jährigen sein Leben zu behagen. „Er genießt es, Premierminister zu sein“, hat eine Mitarbeiterin beobachtet. Verheerende Umfrageergebnisse, vernichtende Wahlniederlagen, tief frustrierte Parteigenossen – nichts davon kann die Gelassenheit des Regierungschefs ankratzen.
De Maart
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