RechtsstaatBrüsseler Milliarden-Poker gegen Orban

Rechtsstaat / Brüsseler Milliarden-Poker gegen Orban
Ungarns Regierungschef Viktor Orban will weiterhin EU-Gelder einstreichen, aber sich nicht an die EU-Regeln halten Foto: AP/dpa/Darko Vojinovic

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Seit mehr als zehn Jahren beklagt die Europäische Union massive Rechtsstaats-Verstöße in Ungarn. Ab kommender Woche wird sich zeigen, ob Regierungschef Viktor Orban dafür zur Rechenschaft gezogen wird.

Die EU-Kommission scheint entschlossen, einen Präzedenzfall zu setzen und Orban an der empfindlichsten Stelle zu treffen: beim Geld. Die Kommission könnte nächsten Mittwoch die Kürzung von 7,5 Milliarden Euro für Ungarn auf den Weg bringen. „Die Stunde der Wahrheit ist gekommen“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Er rief die Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen auf, endlich Fördergelder für Ungarn zu streichen, die seit Orbans Wiederwahl 2010 in dunklen Kanälen versickerten. Das sei „die einzige Sprache, die Viktor Orban versteht“, sagte Freund in einer Parlamentsdebatte in Straßburg. „Der Tag der Entscheidung ist gekommen“, sagt auch die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley. Die von Orban angekündigten „Reförmchen“ reichten nicht aus, „um Korruption und das Veruntreuen europäischer Gelder zu beenden“.

Einen 17-Punkte-Plan hat Ungarn nach einem Ultimatum der EU eingereicht. Wichtigstes Vorhaben ist die Schaffung einer Anti-Korruptions-Behörde. Doch die Kommission ist nach Brüsseler Angaben nicht von den Ankündigungen überzeugt. Einige dieser Ankündigungen wolle Budapest ohnehin erst 2026 umsetzen, sagt der EP-Abgeordnete Freund.

Es ist der Testfall für ein zu Jahresbeginn 2021 eingeführtes Instrument mit dem sperrigen Namen „Konditionalitätsmechanismus“, auch „Rechtsstaatsmechanismus“ genannt. Damit kann die EU einem Mitgliedsland bei Grundrechtsverstößen milliardenschwere Fördergelder streichen, wenn Mittel missbraucht werden. Im Fall Ungarn leitete die EU-Kommission im April erstmals ein solches Verfahren gegen einen Mitgliedstaat ein.

Die Sache hat einen Haken: Die EU-Kommission kann nicht über die Mittelkürzung entscheiden, das Sagen haben die Mitgliedstaaten. Und von diesen sehen längst nicht alle Orban auf der falschen Seite. Nach der nationalkonservativen polnischen Regierung sprach sich im September auch die italienische Ultrarechte Giorgia Meloni gegen Mittelkürzungen für Ungarn aus. Die EU-Kommission treibe „Orban in die Arme (des russischen Präsidenten Wladimir) Putin“, kritisierte Meloni, die wenige Tage später in Rom zur neuen Regierungschefin gewählt wurde.

„Politische Erpressung“

Dabei liegt Orban allem Anschein nach längst in Putins Armen. Nicht nur hat er die EU-Sanktionen gegen Russland immer wieder scharf kritisiert, zuletzt sogar als „Schritt in Richtung Krieg“. Er hat auch als Einziger in der EU neue Gaslieferverträge mit Russland abgeschlossen. Nun blockiert Orban auch noch Hilfen für die Ukraine von bis zu 18 Milliarden Euro für das kommende Jahr. „Politische Erpressung“ warf EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn dem Ungarn deshalb in ungewöhnlicher Deutlichkeit vor.

Die Ungarn-Kritiker in der EU suchen nun Mittel, um Orban gegen den Widerstand seiner Freunde in Rom oder Warschau auf andere Art in die Schranken zu weisen und die dafür nötige Mehrheit zu organisieren. In solch vertrackten Fällen wird in Brüssel gerne zu „Paketlösungen“ gegriffen. Im Klartext heißt dies: Erpresst du mich politisch, erpresse ich dich zurück.

Im Falle Ungarns könnte dies heißen, dass die EU-Finanzminister Orban vor Weihnachten die Pistole auf die Brust setzen. Sie könnten von Orban erhoffte EU-Mittel von 5,8 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds weiter eingefroren lassen. Das wäre ein weiteres Signal an Ungarn, im Rechtsstaats-Ringen endlich nachzugeben.

Wer in diesem Milliarden-Poker den Kürzeren zieht, ist offen. Vielleicht, so hoffen einige in Brüssel, lenkt Orban angesichts der Drohkulisse ein und macht endlich Zugeständnisse beim Kampf gegen die Korruption. Vielleicht passiert aber auch das Gegenteil und er blockiert auf allen Ebenen EU-Beschlüsse. Dann wäre der lachende Dritte Wladimir Putin. (AFP)