„Geht bitte nicht mit diesen Schuhen los!“

„Geht bitte nicht mit diesen Schuhen los!“
(AP)

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Ein Blumenmeer ist nicht gerade das, wofür die Trockengebiete im Südwesten der USA bekannt sind. Doch wenn die Umstände über mehrere Jahre hinweg günstig sind, fängt selbst die Wüste an zu sprießen - so wie aktuell im Anza-Borrego State Park.

Normalerweise ist in Borrego Springs nicht viel los. Umgeben von Wüste leben nur etwa 3500 Einwohner in dem verschlafenen Ort. Auf den Besucheransturm der vergangenen Wochen war daher niemand vorbereitet: Etwa 150 000 kamen allein im März. Grund für das plötzliche Interesse sind Wildblumen – und zwar Massen davon. Die Menschen kommen bis aus Los Angeles und San Diego, um das seltene Phänomen zu bewundern.

An einem besonders vollen Wochenende standen die Touristen in Borrego Springs bis zu fünf Stunden im Stau. In den örtlichen Restaurants ging das Essen aus. Weil es nicht genügend Toiletten gab, mussten sich die Besucher im Freien erleichtern. Manch einer sprach schon vom „Flowergeddon“. Inzwischen wurde nachgerüstet, mit Dixi-Klos und zusätzlichen Vorräten. Zur Regelung des überbordenden Verkehrs beorderte die Polizei Verstärkung herbei.

Unterschiedliche Blütephasen

Im vergangenen Jahr hatte die genau richtige Menge an Regen in Kombination mit hohen Temperaturen das sonst so lebensfeindliche Death Valley in ein Blumenmeer verwandelt. In diesem Jahr erlebt ein etwa 2500 Quadratkilometer großes Gebiet in dem Naturschutzpark Anza-Borrego einen „Super Bloom“. Experten gehen davon aus, dass dieser noch bis Ende Mai anhalten wird, mit unterschiedlichen Blütephasen in unterschiedlichen Höhenlagen.

Einige Besucher schauen sich die auf einmal so farbenfrohe Landschaft aus dem Auto heraus an. Andere gehen zu Fuß auf Erkundungstour. „Wir haben schon alles gesehen, von Leuten in voller Wanderausrüstung bis hin zu Leuten mit Designer-Flip-Flops oder Frauen in Sandalen mit hohen Absätzen und leichten Sommerkleidern, die da raus gehen, um ihre Fotos zu machen“, sagt Linda Haddock, Leiterin der örtlichen Handelskammer. „Als ich das gesehen habe, dachte ich nur: ‚Oh nein, geht bitte nicht mit diesen Schuhen los'“, lacht sie.

Blühende Büsche

Um wahren Wildblumen-Enthusiasten bei der Suche nach den eindrücklichsten Exemplaren zu helfen, haben die Behörden eine Hotline eingerichtet, die rund um die Uhr besetzt ist. Sogar aus Asien kommen Gruppen angereist, etwa um die seltene Blume „Bigelow’s Monkey“ zu sehen, von der im Anza-Borrego-Park in diesem Jahr einige bis zu zwei Meter hoch gewachsen sind. Andere bei Kennern beliebte Arten sind etwa Wüstenlilien, „Falsches Einhorn“ oder die dornige, feuerrote Pflanze Ocotillo.

Die Mehrzahl der Besucher genießt ganz einfach den wunderschönen Gesamteindruck. Eine junge Frau macht im Sitzen Selfies zwischen kniehohen Wüsten-Sonnenblumen – das pralle Gelb wirkt vor dem Hintergrund der noch trockenen bräunlichen Hügel fast neonfarben. Eine Mutter springt inmitten von blühenden Büschen in die Höhe, während ihre Tochter sie mit der Kamera ins Bild zu bekommen versucht.

„Es ist beeindruckend“

Wenn es in der Region irgendwo einen „Super Bloom“ gibt, was je Standort im Schnitt etwa alle zehn Jahre passiert, sind zusätzliche Touristen nichts ungewöhnliches. Aber selbst alteingesessene Bewohner von Borrego Springs haben nach eigenen Angaben noch nie so ein Spektakel erlebt wie in diesen Monaten. „Es ist beeindruckend, wie der gewöhnliche Gang der Dinge hier in der Wüste von einem Ereignis wie einem ‚Super Bloom‘ durchbrochen wird“, sagt Haddock. „Das ist großartig für unsere Wirtschaft.“

Die natürlichen Bedingungen waren Experten zufolge in diesem Jahr einfach optimal. Von Dezember bis Februar wurden in der Region 165 Millimeter Niederschlag gemessen. Es folgten zwei Wochen, in denen es praktisch durchgehend über 30 Grad Celsius warm war. Damit waren die Samen, die in fünf Jahren Dürre in der Erde ausgeharrt hatten, bereit aufzugehen.

Invasive Art

Ein bisschen wurde allerdings auch von Menschenhand nachgeholfen. Ranger, Freiwillige und weibliche Strafgefangene befreiten das Gebiet so weit wie möglich von der Kohlpflanze Brassica tournefortii – eine invasive Art, die vermutlich in den 1920er Jahren mit der Dattelpalme nach Kalifornien eingeschleppt wurde. Bei ähnlichen natürlichen Voraussetzungen vor sechs Jahren soll diese Pflanze nämlich einen potenziellen „Super Bloom“ gewissermaßen abgewürgt haben.

„Sie hatte die üblichen Wildblumenfelder komplett überwuchert und die Wildblumen ausgehungert, sodass wir riesige Flächen voll von dieser hässlichen Kohlpflanze hatten“, sagt Jim Dice vom Anza-Borrego Desert Research Center. „Das hat die Gemeinde wachgerüttelt, da sie ganz wesentlich von dem Tourismus in den guten Wildblumenjahren abhängig ist.“
In diesem Jahr ist dank der fleißigen Landschaftspfleger nichts dazwischengekommen. Lia Wathen aus der etwa zwei Autostunden entfernten Metropole San Diego hat sich extra einen Montag freigenommen, um die Wüstenblumen zu sehen. „Jede nur denkbare Farbe findet man hier“, sagt die 35-Jährige. Auch Sandra Reel und ihr Mann sind wegen des „Super Blooms“ mehrere hundert Kilometer gefahren. „Es ist absolut phänomenal, so viele Wüstenpflanzen zur selben Zeit in Blüte zu erleben“, sagt Reel. „Eine solche Chance bekommt man vermutlich nur einmal im Leben.“