Freitag7. November 2025

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„Der erste Tote sollte gegessen werden“

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Vor einem Jahr wurden 33 chilenische Bergarbeiter nach 69 Tagen gerettet und aus einer Grube in 700 Metern in ein neues Leben geholt. Der erste Kumpel hat nun ein Versprechen gebrochen.

Am Donnerstag wird es ein Jahr her sein, seit die 33 chilenischen Bergarbeiter aus einer Goldmine in Copiapó gerettet wurden und ihr „zweites Leben“, wie sie es oft beschreiben, geschenkt bekommen haben. In den 69 Tagen, in denen sie 700 Meter unter Tage verbrachten, hatten die Männer gehofft, gestritten und gewartet – nicht nur auf Rettung, wie einer der Mineure, Samuel Avalos, jetzt der Nachrichtenagentur AP verrät.

Die Männer hatten nach ihrer Bergung einen Pakt geschlossen, wonach sie keinem erzählen durften, was in den ersten 17 Tagen nach dem Unglück, bevor die Hilfe aus der Oberfläche sie erreichte, im Schacht passiere. Doch Avalos hat sich in einem Interview nicht daran gehalten. „Da unten war es wie eine Roulette“, sagt er, „es ging darum, wer als erster umkam.“ Die Kumpel sollen oft untereinander die Frage behandelt haben, wer zuerst sterben würde. Denn, das Essen war knapp und die Hemmungen klein: Der erste Tote würde nämlich gegessen werden.

Spielfilm gibt Antworten

„Die Situation war für die Alten und die Schlanken komplizierter als bei den anderen“, erinnert sich Avalos weiter. Obwohl das Thema Kannibalismus unter Tage immer wieder in den Medien diskutiert wurde, hatten die Kumpel bisher dementiert, je darüber gesprochen zu haben. Omar Reygadas hat sich gleichzeitig zu Avalos in einer anderen TV-Sendung zu der Frage geäussert, ob die Kumpel ernsthaft kannibalische Absichten hatten: „Wir lachten immer über Claudio Yañez, weil er der schlankste von uns allen war. Das wäre gewesen, als hätten wir vorgehabt, einen Velorahmen zu essen – so dünn war er“, witzelte er.

Die zwei Interviews begleiteten am Sonntag die Erstausstrahlung eines TV-Spielfilms, der die dramatischen ersten 17 Tage der Gefangenschaft zeigen soll, bevor es überhaupt klar war, dass die Bergarbeiter über einen Rettungsschacht an die Oberfläche geholt werden konnten. „Los 33 de Atacama“ („Die 33 aus Atacama“) zeigt, wie sich die Kumpel das wenige Essen und das knappe dreckige Wasser teilten. Der Film zeigt auch den Augenblick, in dem die erste Sonde an die Oberfläche kommt und die Rettungsleute die Nachricht entdecken, dass es den Arbeitern in der Grube gut gehe.

Nur Nichtstun ist gefährlich

Doch nicht alle Kumpel sind ein Jahr nach dem Unglück bereit, vor den Medien aufzutreten. Der Bolivianer Carlos Mamani, der einzige Ausländer in der Gruppe, hat auch heute noch Mühe, an die Öffentlichkeit zu treten. Der 25-Jährige wohnt mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung in Copiapó. Er hat weder Arbeit noch Geld. Er warte darauf, dass „die Gespenster aus meinem Kopf verschwinden“, erzählt er einem Journalist der „Süddeutschen Zeitung.“

Auch Kollege Reygadas hat seit der Bergung die Mine nicht mehr betreten. Er nimmt im Gegensatz zu Mamani die Sache etwas lockerer: Er sei gerade in Kanada gewesen, sagt er, und habe dort über „das Wunder von Copiapo“ erzählt. Er schaue zu, dass er beschäftigt bleibe. Wenn es nicht Interviews sind, dann kümmert er sich um seinen Obstgarten. Nur wer nichts täte, sei in Gefahr, meint er: „Der bleibt hängen.“