Türken stimmen über wichtige Verfassungsreform ab

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Die Türkei hat am Sonntag über eine weitreichende Verfassungsreform abgestimmt. 30 Jahre nach der Einführung der bisher gültigen Gesetze durch eine Militärregierung entscheiden die 73 Millionen Einwohner des EU-Anwärters über grundlegende Änderungen für Armee und Justiz, die den Streit zwischen den säkularen und islamischen Kräften im Land neu entflammt haben.

Das Referendum gilt damit auch als Abstimmung über den konservativen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan und seine islamisch geprägte Partei AKP. Einer Umfrage vom Samstag zufolge zeichnete sich ein Sieg des Regierungslagers ab.

Andere Befragungen wiesen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin. Die Wahllokale waren im Osten des Landes bis 16.00 Uhr (Ortszeit, 15.00 Uhr MESZ) geöffnet, im Rest des Landes bis 17.00 Uhr.

Erdogan hat für die Reform als Schritt auf dem Weg in die Europäische Union geworben. Sie mache das lange von Militärregierungen beherrschte Land demokratischer und moderner. Siehe auch:
EU will engere Partnerschaft mit Türkei

Kritiker sehen in den Veränderungen dagegen einen weiteren Versuch der konservativ-islamischen Kräfte, die weltliche Ausrichtung des Landes zu untergraben und den Einfluss der Religion zu stärken.

„Aus der Türkei in die Welt“

Die stärkste Unterstützung für Erdogan kommt aus dem ländlichen Anatolien im Osten des Landes, das vom weltoffenen Leben in den westlichen Großstädten wie Ankara und Istanbul weit entfernt sind. Hier profitiert eine aufstrebende, religiöse Mittelschicht vom wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, den Erdogan während seiner achtjährigen Regierungszeit durch eine Öffnung für Märkte wie den Nahen Osten erreicht hat.

„Aus der Türkei in die Welt“, heißt es auf Spruchbändern in Konya, auf denen für eine Zustimmung zu der Reform geworben wird. Zu den umstrittensten Veränderungen zählt die Reform des Verfassungsgerichts, das gemeinsam mit dem Militär als Hüterin des säkularen Charakters des Landes gilt. Das Parlament erhält mehr Einfluss auf die Bestellung von Richtern, der Kreis der in Frage kommenden Kandidaten für die wichtigsten Posten wird vergrößert, ihre Amtszeit auf zwölf Jahre beschränkt. Zudem sollen auch Einzelpersonen das Verfassungsgericht anrufen können.

Die Militärgerichte sollen künftig nur noch Fälle aus ihrem Bereich behandeln und dürfen nicht mehr über Zivilisten urteilen. Verfahren wegen Verstößen gegen die Staatssicherheit und die Verfassung werden von zivilen Gerichten übernommen. Die Reform hebt zugleich einen Passus auf, der eine Strafverfolgung der Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats verhindert.
Der Rat wurde nach dem Militärputsch von 1980 gebildet. Damit wäre der Weg für eine juristische Aufarbeitung der Zeit frei. Erdogan hat offen gelassen, ob dies geschehen soll.

(Reuters)