„Ich will so viele Jungs küssen wie möglich“

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Mit den traditionellen Straßenfesten der "Blocos" hat der Karneval in Rio seinen ersten Höhepunkt erreicht. Vor den festlichen Samba-Paraden am Sonntag und Montag kamen bei den größten der insgesamt 650 Straßenfeste bis zu eine Million Menschen zusammen.

Dabei ist es zu einem richtigen Sport geworden, wildfremde Menschen zu küssen – auf dass man sich danach nicht mehr ganz so fremd ist.
„Ich bin tausende von Kilometern gefahren, um meinen ersten Karneval in Rio zu erleben“, sagt die 18-jährige Studentin Taline Pereira aus Nordostbrasilien. Mit einem rosafarbenen Bikini-Top und einem blumigen Minirock ist Taline wenig schüchtern, wenn es ums Küssen geht – in Rio als „ficar“ bezeichnet, was wörtlich soviel bedeutet wie „verweilen“. Denn aus dem ersten Kuss kann ja durchaus mehr werden, auch wenn Taline es keineswegs bei einem Kusspartner belassen will: „Natürlich werde ich so viele Jungs küssen wie möglich!“
In Rio versichern alle, dass dies ein ganz unschuldiges Spiel sei. Wer eine Frau beim Küssen unsittlich berührt, bekommt die rote Karte gezeigt – oder riskiert eine Ohrfeige. Und natürlich wird auch nicht wild drauflos geküsst. Das Spiel hat seine Rituale und geheimen Regeln, nonverbale Hinweise, die man verstehen muss, ehe sich die Lippen berühren. 
„Wenn die Chemie stimmt, kann es weitergehen“
„Es fängt ungefähr so an: Man schaut einen Jungen an. Und zwar richtig. Er kommt her, beginnt zu reden, und wenn die Chemie stimmt, kann es weitergehen“, erklärt die Studentin. „Wenn da eine Energie spürbar ist, spielt es keine Rolle, ob er süß ist oder nicht.“
Finden zwei zusammen, ist es natürlich auch wichtig, wie jemand küsst. Taline Pereira stellt sich vor, dass „ich vielleicht zwölf Jungs küsse – oder nur einen, wenn er wirklich gut küsst“. Die männliche Sichtweise der Dinge vermittelt Lucas de Souza. Der 17-jährige bläst sich ein bisschen auf wie ein Pfau und versichert: „Ich komme mit Haltung und einer großartigen Ansprache auf sie zu. Man muss mit einem brasilianischen Mädchen wirklich gut reden. Wenn ich meiner Sache sicher bin, berühre ich vielleicht ihr Haar, ihren Arm und dann versuche ich, sie zu küssen.“ Und wenn es nicht klappt? „Schau Dich um, dieser Platz ist voll von Mädchen“, antwortet Lucas. „Wenn ein Mädchen mich zurückweist, hat sie bestimmt eine Freundin, die es nicht tut.“ Jeder Bloco hat seinen eigenen Charakter. Einige werden überwiegend von Jugendlichen, andere von Homosexuellen geprägt. Es gibt sogar einen Bloco für Journalisten. Und überall sind Touristen unterwegs – rund 700.000 sind eigens zum Karneval nach Rio gekommen. Gemeinsam ist allen Festen, dass reichlich Bier fließt, dass die Kleidung knapp ist und dass überall geknutscht wird.
55 Millionen Kondome verteilt
Die Behörden haben stolz verkündet, dass sie zum Karneval 55 Millionen Kondome verteilen. Zur möglichen Übertragung von Infektionen von Mund zu Mund gibt es keine behördlichen Vorkehrungen – das bleibt jedem und jeder selbst überlassen. Ausländische Touristen haben ihre Probleme mit dem öffentlichen Ausbruch von massenhafter Zärtlichkeit. „Ich mag Zuneigung, aber wenn ich das hier sehe, sage ich: ‚Geht doch in ein Zimmer'“, meint die 33-jährige Australierin Destine Georgio. Auch die ältere Generation runzelt die Stirn. Die 65-jährige Maria Helena Meurer aus dem Stadtteil Ipanema schaut sich das Treiben beim Bloco „Vem ni mim que sou Facinha“ (Komm zu mir, ich bin einfach) an und schimpft: „Dieses Spiel mit dem Küssen gab es nicht, als ich jung war. Wir haben auch herumgespielt, aber mit Respekt.“ So dauerte es auch mehr als einen Karneval, bis Maria Helena den Mann ihres Lebens gefunden hatte: „Er hat mich sieben Jahre lang hofiert, ehe wir geheiratet haben, und das habe ich als Jungfrau getan. Versuchen Sie mal, in dieser Menge eine zu finden.“