Die Frau, die elf Milliarden versenkte

Die Frau, die elf Milliarden versenkte
(AFP/Patrick Kovarik)

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Frankreich hat mit einer politischen Entscheidung seiner Umwelt- und Verkehrsministerin Segolène Royal einen direkten Schaden von über einer Milliarde Euro verursacht und für Einnahme-Ausfälle im französischen Staatshaushalt von gut zehn Milliarden in den kommenden zehn Jahren gesorgt. Der französische Rechnungshof übte scharfe Kritik an der Regierung.

In Deutschland wurde Kaiser Wilhelm einst gewarnt, dass, wenn es an der Ruhr zu Streiks käme, das ganze Wasser des Rheins nicht reichen würde, um den politischen Brand zu löschen. In Frankreich weiß man, dass man Demonstrationen in der Bretagne unbedingt zu vermeiden hat, weil sie nicht unter Kontrolle zu bringen sind. Die Bretonen sind anders als der Rest der Bevölkerung in Frankreich. Man sollte sie nicht reizen.

Vor vier Jahren aber wurden sie gereizt. Überall in der Bretagne wurden Stahlbrücken über die Schnellstraßen gebaut, wurden Kameras in die Brücken gesetzt, die Lastwagen aufnahmen und eine Straßengebühr berechneten. Das gefiel den Bretonen nicht. Sie setzten sich rote Pudelmützen auf, blockierten Straßen, rissen die Brücken ein, kippten Mist vor die Präfekturen, die der sichtbare Ausdruck der französischen Staatsgewalt sind.

Die Regierung von Jean Marc Ayrault wich zurück, setzte die Steuer zunächst aus. Als das die Aufstände nicht beruhigte, kam die Umwelt- und Verkehrsministerin zum Zuge. Sie setzte mit „gesundem Volksempfinden“ die Steuer bis zum Sankt Nimmerleinstag aus. Die Brücken wurden abgebaut. An der vierspurigen Nationalstraße, die die ganze Bretagne umrundet, liegen Teile der Brücken auch vier Jahre nach der Entscheidung der Ministerin noch als Schrott herum. Aber: Es kehrte wieder Ruhe in der Bretagne ein.

„Wer verschmutzt, muss zahlen“

Was war eigentlich wirklich passiert in Frankreich? Ein großer Umweltgipfel hatte im Jahr 2009 in Frankreich das Umweltbewusstsein eingeführt. Seitdem gilt im Prinzip das Prinzip: „Wer verschmutzt, muss zahlen.“ Angewendet wurde dieses nicht. In der Bretagne gibt es durch die Schweinzucht die höchsten Nitratwerte im Wasser. Und mancher Strand muss regelmäßig mit hohen Kosten von Algen befreit werden, weil der Dünger bei Regen ins Meer gespült wird.

Eine Straßensteuer für Lastwagen auf den vierspurigen Nationalstraßen war 2009 einstimmig in der Pariser Nationalversammlung beschlossen worden. Alle waren in der Aufbruchstimmung des Umweltbewusstseins dafür. Die damalige Regierung unter Premierminister François Fillon aber ließ sich Zeit. Dekrete zur Ausführung mussten geschaffen werden.

Eine Grundsatzentscheidung dazu: Wie sollte die Steuer eingetrieben werden? Die Regierung Fillon entscheid sich für das italienische System, das die Deutschen kopiert hatten und für ihre Lastwagensteuer anwendeten. Was in Italien und in Deutschland funktionierte, müsste auch für Frankreich gut sein, meinte Fillon.

Frankreich gründete im lothringischen Metz das Unternehmen Ecomouv. Es sollte die Stahlbrücken bauen lassen und über den Straßen errichten. Es sollte die Kameras entwickeln lassen, die Transportfirmen davon überzeugen, Registrierungsgeräte hinter der Windschutzscheibe zu installieren, kurz, die gesamte Infrastruktur errichten, das System betriebsfertig machen, die Gebühren kassieren und sie, minus einer Service Gebühr für die Gesellschaft, an den Staat abführen.

Welle von Steuererhöhungen

Ecomouv stellte 150 Personen ein und machte das System betriebsfertig. Der französische Staat versetzte 150 Zöllner nach Metz, die in den Grenzräumen kontrollieren sollten, ob die ausländischen Lastwagen auch mit einem Registrierungsgerät ausgerüstet waren. Am Ende stellte sich heraus, dass die ausländischen Lastwagen fast alle ausgerüstet waren, die französischen aber nicht. Denn: Zwischenzeitlich hatte es Wahlen gegeben.

Eine linke Mehrheit bestimmte das Parlament und eine Welle von Steuererhöhungen zog über das Land, die so stark war, dass selbst Finanzminister Pierre Moscovici sie als zu stark empfand. Außerdem begann in der Nationalversammlung eine wüste Diskussion darüber, ob man denn der konservativen Philosophie nachgeben und eine private Gesellschaft diese Gebühr einkassieren lassen sollte, die dafür überdies noch bezahlt würde. Der Staat erhielt so nicht die volle Gebühr. Eine Untersuchungskommission stellte fest, dass im italienisch-deutschen Vergleich Ecomouv viel teurer war.

Als in dieser Situation die Bretonen ihre roten Pudelmützen aufsetzten, war das Schicksal der Lastwagensteuer im Oktober 2013 besiegelt. Im Oktober 2014 annullierte Frankreichs Regierung den Vertrag. Das wurde teuer für Frankreich. Da Ecomouv das System betriebsfertig an den Staat übergeben hatte, kostete die Entschädigung für die Gesellschaft 958 Millionen Euro.

Für juristische Streitigkeiten mussten 270 Millionen bereitgestellt werden. Vertragsbrüche, die durch die Regierung verursacht wurden, schlugen mit 70 Millionen zu Buche. 160 Brücken mussten in ganz Frankreich wieder abgebaut werden. 700.000 GPS-Geräte zur Installation in den Lastwagen wurden nicht mehr gebraucht, wurden wieder ausgebaut und zurückgegeben. Der Schaden wird auf 650 Millionen Euro geschätzt.

Hinzu kommt ein sozialer Schaden. Da Ecomouv aufgelöst wurde, gab es 150 Entlassungen von Festangestellten. Nicht zu reden von den 150 Zöllnern, die in Metz nicht mehr gebraucht wurden, oder den lokalen Zulieferern, die ihren auf Jahre angelegten Wirtschaftsplan mit Ecomouv revidieren mussten, Umsatz verloren und sich als Folge von Mitarbeitern trennten. Arbeitsplätze sind rar in Frankreich.

Über einen Zeitraum von zehn Jahren von 2014 bis 2024 wurde das Aufkommen der Ökosteuer für Lastwagen auf 9,8 Milliarden geschätzt. Davon sollten 61 Prozent von französischen und 39 von ausländischen Lastwagen bezahlt werden.

Da Frankreich nicht wirklich auf das Geld verzichten kann, ist im Sommer vergangenen Jahres, als es niemand wegen des preiswerten Treibstoffes so richtig merkte, die Mineralölsteuer erhöht worden. Sie soll nun mit 652 Millionen von den Franzosen und 462 Millionen Millionen von ausländischen Autofahrern das Geld hereinholen.