Aufruhr in Arabien – der Stand der Dinge

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Von Marokko bis Oman – die Proteste in der arabischen Welt halten unvermindert an. Selbst in Ägypten und Tunesien ist keine Ruhe eingekehrt. Ein Überblick.

Ägypten: Drei Monate nach dem Sturz von Hosni Mubarak zeigt der Gewaltausbruch zwischen Christen und Muslimen, wie fragil die Lage nach wie vor ist. Vor allem die radikal-islamischen Salafisten, die unter Mubarak vom Regime kontrolliert wurden, fallen nun durch extreme Intoleranz und Gewalttaten auf. Der regierende Militärrat hat ein hartes Durchgreifen angekündigt. Im September sollen Parlaments- und im Oktober Präsidentschaftswahlen stattfinden. Reformkräfte klagen, sie hätten zu wenig Zeit, sich bis dann zu organisieren.

Algerien: Vereinzelt kommt es zu Protesten, doch von einer breiten Volksbewegung ist im Maghreb-Staat nicht in Sicht. Der seit 19 Jahren geltende Ausnahmezustand wurde im Februar aufgehoben. Präsident Abdelaziz Bouteflika hat zudem eine Verfassungsreform angekündigt. Sie ziele auf die „Stärkung der Demokratie“. Ausserdem kam es in letzter Zeit zu Anschlägen auf Sicherheitskräfte, erst am letzten Freitag wurden fünf Soldaten getötet. Als Urheberin wird die Al Kaida im islamischen Maghreb vermutet.

Bahrain: Der König hat am Sonntag ein Ende des vor zwei Monaten verhängten Notstands per 1. Juni angekündigt. Das Regime hatte ihn Mitte März ausgerufen und damit auf die wochenlangen Proteste der schiitischen Mehrheit gegen das sunnitische Königshaus reagiert. In der Folge rückten Truppen unter Führung Saudi-Arabiens in den Golfstaat ein und schlugen die Proteste gewaltsam nieder. Mehr als 30 Menschen kamen ums Leben. Am Wochenende wurden 21 vorwiegend schiitische Aktivisten vor einem Militärgericht angeklagt.

Jemen: Seit Wochen liefern sich Präsident Ali Abdullah Saleh und die Opposition ein Katz-und-Maus-Spiel. Die jemenitischen Sicherheitskräfte sind am Montag erneut mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen. Fünf Menschen kamen ums Leben. Präsident Saleh weigert sich, einen Vermittlungsvorschlag des Golfkooperationsrats zu unterschreiben, der ihm im Gegenzug für einen Rücktritt Immunität vor Strafverfolgung zusichert. Die Opposition hat Saleh aufgefordert, den Vorschlag bis Dienstag anzunehmen, ansonsten werde das Volk «Alternativen» haben.

Libyen: Der Aufstand gegen Muammar al Gaddafi, der Mitte Februar begann, hat sich zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg mit westlicher Beteiligung entwickelt. Keine der beiden Seiten scheint bislang stark genug, die Auseinandersetzung für sich zu entscheiden. Im Brennpunkt stand in letzter Zeit das seit Wochen belagerte Misrata, die einzige grössere Stadt im Westen, die von den Rebellen gehalten wird. Auch im Grenzgebiet zu Tunesien kam es in letzter Zeit vermehrt zu Kämpfen zwischen Armee und Aufständischen.

Marokko: Lange blieb es relativ ruhig. König Mohammed VI. hatte im März umfassende Reformen angekündigt, die eine unabhängige Justiz und ein frei gewähltes Parlament zum Ziel haben. Dann folgte Ende April der Terroranschlag auf ein Café in Marrakesch, bei dem 17 Menschen getötet wurden, darunter zwei Schweizer und ein im Tessin lebender Portugiese. Am letzten Freitag wurden drei Verdächtige verhaftet. Beobachter fürchteten, der König werde nach dem Attentat seinen Reformkurs abschwächen. Am Sonntag gingen Tausende gegen Gewalt und für politische Reformen auf die Strasse.

Oman: Nach wochenlangen Protesten hatte Sultan Kabus bin Said Mitte März angekündigt, einer bisher nur beratenden Abgeordnetenversammlung gesetzgeberische Vollmachten und Kontrollrechte gegenüber der Regierung einzuräumen. Ende Februar war bei Protesten in der Stadt Sohar ein Demonstrant von Sicherheitskräften getötet worden, ein weiterer Anfang April. Am 22. April demonstrierten rund tausend Menschen für politische Reformen.

Saudi-Arabien: Während anderswo die Proteste eskalierten, machte das Königreich sich das Volk mit finanziellen Wohltaten von 36 Milliarden Dollar gefügig. Gleichzeitig wurde die Schraube angezogen: Seit Februar wurden laut Human Rights Watch (HRW) mehr als 160 Regimekritiker festgenommen. Die meisten seien Vertreter der schiitischen Minderheit, die im Osten für Reformen demonstrierten. Doch in der erzkonservativen Ölmonarchie gärt es: Dafür steht unter anderem der Facebook-Aufruf von Frauen, die sich am 17. Mai über das geltende Verbot hinweg und hinter das Steuer eines Autos setzen wollen.

Syrien: Das autoritäre Regime von Baschar Assad hat auf die Proteste in zahlreichen Städten mit Gewalt reagiert und Panzer auffahren lassen. Bisher kamen laut Angaben von Menschenrechtlern mehr als 630 Menschen ums Leben. Der Westen allerdings schreckt vor harten Massnahmen gegen das Regime zurück. Zu fragil ist der ethnisch-religiöse Vielvölkerstaat, zu wichtig seine Rolle im Nahostkonflikt. In den grossen Städten Damaskus und Aleppo blieb es zudem relativ ruhig. Eine Fortsetzung der Proteste könnte die Risse im Regime vertiefen und nach Ansicht von Experten zur Spaltung der Armee führen.

Tunesien: Das kleine Land, in dem die Protestbewegung mit dem Sturz von Präsident Ben Ali am 14. Januar ihren Anfang nahm, kommt nicht zur Ruhe. Nach dreitägigen neuerlichen Strassenprotesten hat die Übergangsregierung am Sonntag für den Grossraum Tunis eine nächtliche Ausgehsperre verhängt. Den Hintergrund der neuen Demonstrationen bilden Gerüchte über eine Verschiebung der am 24. Juli geplanten Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung. Zuletzt gab es Gerüchte über einen Militärputsch für den Fall, dass die islamistische Ennahada-Partei diese Wahlen gewinnen sollten. Ungelöst bleibt das Flüchtlingsproblem auf der italienischen Insel Lampedusa.