Michelle Cloos
Jahresbericht 2010
Amnesty International:
Den Jahresbericht können Sie an diesem Donnerstag auf dem Amnesty-Stand auf der place d’Armes für 15 Euro kaufen.
Den Bericht kann man aber auch direkt bei der Organisation in Luxemburg für den genannten Betrag
erhalten.Der Jahresreport 2010 dokumentiert für das vergangene Jahr Menschenrechtsverletzungen in 159 Ländern weltweit. Das Augenmerk lag auf der Internationalen Justiz. „Niemand darf über dem Gesetz stehen“, erklärte Nathalie Schmit von Amnesty Luxemburg gestern vor Journalisten. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die nationalen Gerichte seien Schlüsselinstrumente zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung.
Die Öffentlichkeit sei immer mehr der Überzeugung, dass begangene Verbrechen vor Gericht verhandelt werden müssen. Doch oftmals erscheine das Völkerrecht als fernes Ideal, bedauert die Direktorin von Amnesty Luxemburg, Chiara Trombetta. Die Grundrechte von Millionen Menschen würden mit Füßen getreten und das Versagen der internationalen Justiz zwinge diese Menschen dazu, in Armut und Unterdrückung zu leben.
Steigender Rassismus in Europa
Amnesty prangert nicht nur die Missstände auf dem asiatischen oder afrikanischem Kontinent an. Auch Europa steht in der Kritik. „In Europa kann man eine starke Zunahme von Rassismus und Xenophobie beobachten“, schreibt Amnesty im Jahresbericht 2010. Vor allem die Diskriminierung der Roma sei ein erhebliches Problem. Doch auch das Schweizer Minarettverbot wird als Zeichen der Intoleranz gewertet.
Chiara Trombetta kritisierte auch das in Spanien eingeleitete Verfahren gegen den berühmten Richter Garzon, der ein dubioses Amnestie-Gesetz verletzt hat, als er entschied, über die bislang unbestraften Verbrechen der Franco-Diktatur zu ermitteln. Dem Nachbarland Deutschland wird vorgeworfen, das Folterverbot nicht ausreichend ernst zu nehmen. Der Staat dürfe niemanden in einen Folterstaat abschieben.
Im Jahr 2009 stieg die Zahl der Gewaltakte gegenüber Frauen und Homosexuellen weltweit an. Die Meinungsfreiheit wurde in verschiedenen Ländern drastisch zurückgeschraubt. Im Iran erreichte die Unterdrückung dissidenter Stimmen nach den umstrittenen Wahlergebnissen im Sommer 2009 einen Höhepunkt. Die Behörden des Mullah-Regimes hätten die freie Meinungsäußerung in bislang ungekanntem Maß eingeschränkt, indem sie Mobilfunk-, Festnetz- und Internetverbindungen blockierten. Die Organisation prangert ebenfalls massive Menschenrechtsverstöße in Afghanistan an. Außerdem wird befürchtet, dass die anstehenden Diskussionen mit den Taliban in Afghanistan und Pakistan zu einer Verschlechterung der Frauenrechte führen könnten.
Es gibt auch gute Nachrichten
Amnesty verzeichnet allerdings auch Fortschritte. Der Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs gegen Sudans Präsident Omar al-Bashir (der erste gegen einen amtierenden Staatschef überhaupt) und die Ausarbeitung des Goldstone-Berichts seien positive Nachrichten. Alberto Fujimori, der ehemalige peruanische Präsident, wurde im April 2009 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Die Organisation begrüßt dieses „historische Urteil“. Die Prozesse über die Gräueltaten in Sierra Leone sind fast alle beendet und somit steht ein dunkles Kapitel der Geschichte vor dem Abschluss. Das Fakultativprotokoll des internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wurde bislang von 32 Staaten unterschrieben und gibt dem Kampf gegen die Armut laut Amnesty einen neuen Impuls.
Trotz einer Reihe von Fortschritten appelliert Amnesty an die Staaten. Die Bemühungen der internationalen Justiz werden durch einige politische Großmächte und multinationale Konzerne gebremst. Zu oft würden politische Interessen über das Prinzip der Gerechtigkeit gestellt und zu oft ersetze die Solidarität unter Staaten die Solidarität mit den Opfern, klagt Chiara Trombetta.
Recht soll über Politik stehen
Ein Beispiel hierfür ist Israels Gaza-Offensive Ende 2008. Sowohl Israel als auch die Hamas haben das Völkerrecht missachtet und müssten sich auch dafür verantworten. Auch die Entscheidungen der internationalen Konzerne haben oftmals schwerwiegende Folgen auf die Grundrechte der Menschen. Die Unternehmen nutzen die Abwesenheit von klaren Regulierungen aus oder arbeiten Hand in Hand mit repressiven Regierungen.
Amnesty kritisiert, die Präsenz des Öl-Riesen Shell in Nigeria führe zu verheerenden Folgen für Natur und Bevölkerung. 2009 haben vier Nigerianer erstmals wegen der verursachten Verschmutzung vor einem niederländischen Gericht gegen den Konzern geklagt. Doch solche Verfahren bleiben die Ausnahme. Alle Staaten müssten zur Rechenschaft gezogen werden dürfen. Die USA haben das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht ratifiziert und entziehen sich dadurch teilweise der Autorität des IStGH. Amnesty rügt auch US-Präsident Obama, weil er sein Wahlversprechen, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen, noch nicht eingelöst hat. „Der IStGH muss gestärkt werden“, erklären die Vertreter der nichtstaatlichen Organisation. Zurzeit befasst sich das Gericht hauptsächlich mit Menschenrechtsverletzungen auf dem afrikanischen Kontinent.
Amnesty will allerdings, dass sich das ändert. In Zukunft sollen alle Länder vor dem Gerichtshof Rechenschaft ablegen. Sämtliche Staaten sind dazu aufgerufen, sich für schärfere internationale Gesetze einzusetzen, um Recht walten zu lassen und Diskriminierungen zu bekämpfen. Die Millenniumsziele müssen laut Amnesty in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden und die UNO soll Ermittlungen über die Tötung von Zivilisten im Sri-Lanka-Konflikt aufnehmen.
Das Recht auf Ernährung, Bildung und Gesundheit soll ebenso respektiert werden wie das Recht auf Meinungsfreiheit. Der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen würden diese grundlegenden Rechte durch die israelische Blockade des Gebietes entzogen, kritisieren die Luxemburger Vertreter von Amnesty.
In dem Bericht gibt es allerdings keine Informationen über Luxemburg. Den Namen des Landes findet man nicht einmal im Index des voluminösen Reports. Grund dafür ist schlicht und einfach ein erheblicher Mangel an freiwilligen Mitarbeitern und Forschern, die dringend notwendig wären, um eine ausführliche und tiefgreifende Analyse über die Probleme in Luxemburg auszuarbeiten.
Zahlen und Fakten
Der Jahresbericht 2010 von Amnesty International kritisiert, dass 81 Länder
das Römische Statut, das
die vertragliche Grundlage des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) bildet, nicht ratifiziert haben.
Dazu gehören auch die USA, China, Russland, Indien und die Türkei.
In mindestens 61 Ländern kommen Täter von Menschenrechtsverletzungen weiter ohne Strafe davon.
Folter und Misshandlungen verzeichnet Amnesty International in mindestens 111 Staaten.
In mindestens 55 Ländern sind unfaire Gerichtsverfahren an der Tagesordnung, und in mindestens 48 Staaten gibt es gewaltlose politische Gefangene.
Die Meinungsfreiheit wurde letztes Jahr laut Amnesty in mindestens 96 Ländern eingeschränkt.
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