Vorurteile schüren

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Die Debatte um die sogenannte „Armutszuwanderung“ in Deutschland, aber auch in Großbritannien reißt nicht ab.

In Berlin hat sich die neue Koalitionsregierung zumindest dazu durchgerungen, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die Klarheit schaffen und vor allem Fakten darüber zusammentragen soll, ob „arme“ Migranten tatsächlich nur nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu missbrauchen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf den Bürgern aus Rumänien und Bulgarien, die seit dem 1. Januar auch in jenen EU-Staaten frei auf Arbeitssuche gehen können, die seit dem EU-Beitritt beider Länder dies nur eingeschränkt zuließen. Zu diesen Ländern gehören unter anderem Deutschland, Großbritannien, aber auch Frankreich und Luxemburg.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Die nun in Berlin angeschobene Suche nach Fakten ist dringend notwendig, da die Diskussion von einem gelinde gesagt zutiefst populistischen Unterton gekennzeichnet ist. Denn mit dem Begriff der „Armutszuwanderung“ wird gleich mehreres unterstellt: Die Menschen, deren massenhaftes Eintreffen in den westeuropäischen Wohlstandsgebieten erwartet und von so manchen Politikern mit Schreckensszenarien herbeigeredet wird, seien arbeitsscheue Habenichtse, die eigentlich nur darauf aus seien, die hiesigen Sozialkassen auf ungerechtfertigte Weise auszunutzen. Im besten Fall wird ihnen noch zugestanden, dass sie Arbeit annehmen würden, doch geschehe dies dann zum Nachteil der einheimischen Arbeitssuchenden.

Es sind altbekannte Ressentiments und Vorurteile, die da geschürt werden, doch offenbar scheinen sie noch immer auf fruchtbaren Boden zu fallen. Zumindest erhoffen sich das Politiker wie der britische Premierminister David Cameron oder Polterer der bayerischen CSU.

Dass die Dinge jedoch weitaus vielschichtiger sind und bisher Bulgarien und Rumänien durch die Freizügigkeit in der EU vielmehr verloren haben und die eigentlichen Leidtragenden sind, zeigt eindrucksvoll die Reportage unseres Korrespondenten Thomas Roser in dieser Ausgabe. Demnach haben die beiden Länder unter der Abwanderung von qualifiziertem Fachpersonal, vor allem im Gesundheitsbereich, zu leiden. Denn längst sind Millionen von Bulgaren und Rumänen in den „alten“ EU-Ländern angekommen, auch in Luxemburg, was bislang offenbar noch niemandem negativ aufgefallen ist.

Verwerflicher politischer Stil

Sicherlich werden in den Zuwanderer-Ländern auch Sozialleistungen erschlichen oder unberechtigt in Anspruch genommen. Was durchaus bekämpft werden muss, ist es doch zum Schaden aller: jener, die ihre Beiträge zahlen, und jener, die auf Hilfe der Sozialversicherungen angewiesen sind. Allerdings ist es mehr als unredlich, allein den Einwanderern diese Absichten zu unterstellen. Sozialbetrug gibt es bestimmt auch ohne den Zuzug von Rumänen und Bulgaren.

Die vor allem von konservativen Politikern vom Zaun gebrochene Zuwanderer-Debatte ist als ein Versuch zu entlarven, vor den im Mai stattfindenden Europawahlen in Umfragen ausgewiesene Stimmenverluste wettzumachen. Was vor allem auf Cameron zutrifft, dessen konservative Tory-Partei vom EU-feindlichen Nigel Farage und dessen UKIP derzeit in der Wählergunst in Großbritannien auf den dritten Platz verwiesen wird. Es ist jedoch überaus verwerflich, mit dem Schüren von Vorurteilen gegen andere Nationen und ihre Bürger Politik zu betreiben. Vor hundert Jahren trug das mit zur Katastrophe bei.