Dienstag11. November 2025

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Russische Politküche

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Für viele Kommentatoren ist die Machtrochade in Moskau die Ankündigung eines autokratischeren Staates und demnach ein schwarzer Tag für die Demokratie in Russland. Die Wahrheit ist aber, dass Wladimir Putin niemals aus dem Geschäft war.

Als Putin sich Medwedew als Premierminister zur „Verfügung“ stellte, wurde der Koch damals nicht zum Kellner. Umgekehrt gilt dies natürlich auch heute nicht. Putin musste vor einigen Jahren auf die Präsidentschaft aus verfassungsrechtlichen Gründen verzichten. Man wollte im Kreml aus verschiedenen Ursachen die Verfassung respektieren, ein Novum in der russischen Geschichte. Bereits damals war aber klar, dass der scheidende Präsident erstens der mächtigste Mann in Moskau und zweitens nicht abgeneigt war, den Job weiterzumachen.

Logo" class="infobox_img" />Sascha Bremer [email protected]

Man darf nicht vergessen, welche außerordentliche Popularität Russlands jetziger Premierminister bei seinem Volk genießt, auch wenn diese in letzter Zeit deutlich abgenommen hat. Putin pflegt, seit er den völlig überforderten und alkoholkranken Boris Jelzin beerbte, stets das Bild des starken Mannes.

Über das letzte Jahrzehnt hinweg wurden jeden Sommer Urlaubsbilder des ehemaligen KGB-Agenten unters Volk gebracht, die in westlichen Augen zwar etwas schräg angekommen sind, dem russischen Volk aber den Anti-Jelzin präsentieren sollen: ein von physischer Kraft strotzender, junger, aktiver und dynamischer Politiker.

Damit wurde dem Volk signalisiert, dass die Ära der Experimente der 90er-Jahre, als das Land vor dem Ausverkauf an die Oligarchen stand – und damit indirekt an den Westen –, vorbei war. Als schiefgelaufenes Experiment wurde von vielen Russen auch diese „erste“ Phase der Demokratisierung in Russlands Geschichte angesehen. Schiefgelaufen, weil damit die politische Instabilität, der wirtschaftliche Niedergang und der Verlust einer weltpolitischen Rolle Russlands verbunden wurden. Besonders schmerzlich waren diese Umstände, da das andere große kommunistische Land, der chinesische Nachbar, einen anderen, anscheinend erfolgreicheren Weg eingeschlagen hatte.

Lupenreiner Autokrat?

Viele westliche Kommentatoren werden heute den Mangel an Demokratie in Russland – zu Recht – anprangern. Die Presse steht weitestgehend unter staatlicher Kontrolle, es darf allerdings angezweifelt werden, ob sie tatsächlich in den 90er-Jahren viel freier war, als die Oligarchen sie kontrollierten und sie zu ihren eigenen Zwecken benutzten.

Die Rechtsstaatlichkeit funktioniert eher schlecht als recht. Man hat aber erkannt, dass genau dies die benötigten Auslandsinvestitionen verhindert.

Allerdings vergessen wir im Westen allzu oft, wie lange wir eigentlich auf diesem Pfad gebraucht haben – uns eigentlich immer noch befinden – und welch schlimmer Ursachen es bedurft hatte, damit einige heutige Vorzeigedemokratien erst auf diesen Weg gelangen konnten.

Die meisten Russen leiden heute weniger darunter, dass sie von einer kleinen elitären Kaste geführt werden – ähnlich wie es die Demokratien im 19. Jahrhundert durchlebt haben. Vielmehr fallen für sie die örtliche Bürokratie, der Filz in den Amtsstuben und die grassierende Korruption ins Gewicht. Eine Tatsache, die zeigt, dass Moskaus Arm eigentlich gar nicht so weit reicht, die Menschen bei Weitem eher die Knute der Lokalädilen zu spüren bekommen.

Wladimir Putin ist kein lupenreiner Demokrat, kann er unter den russischen Umständen auch nicht sein. Aber genauso falsch ist es, ihn in die autokratische Ecke zu stellen. Putin wird daran gemessen werden – nicht nur vom Ausland, sondern vom eigenen Volk –, wie er die Probleme und Herausforderungen des größten Staates der Welt in den Griff bekommt, wie er das Land umgestalten wird, welche Entwicklungen Russland bevorstehen werden.

Das russische Gemüt mag obrigkeitstreu sein, die Lust, gegen unfähige politische Regime zu revoltieren, haben die Russen allemal.

Der Westen hingegen täte besser daran, mit Russland umzugehen, so wie es ist – und sich weiterentwickeln wird – und nicht so, wie man es sich erträumt.