Samstag15. November 2025

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Politik und Geschichte

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Das französische Parlament hat am Donnerstag (22.12.) ein Gesetz gestimmt, das die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern im Ersten Weltkrieg untersagt.

Die Türkei zeigte sich zutiefst verärgert und hatte bereits im Vorfeld mit ernsthaften Konsequenzen gedroht. Die Antwort Ankaras ließ nicht lange auf sich warten. Knapp zwei Stunden nach der Abstimmung im Parlament wurde der türkische Botschafter in Paris abberufen.

Logo" class="infobox_img" />Michelle Cloos [email protected]

Die von Nicolas Sarkozy unterstützte Initiative der Nationalversammlung wirft gleich mehrere Fragen auf. Erstens stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der Geschichte. Ist es die Aufgabe des Gesetzgebers und der französischen Justiz, historische Ereignisse auszuwerten? Das historische Geschehen ist das Thema der Historiker, die die vorliegenden Fakten auflisten, analysieren und in ihrem Kontext erläutern. Diese Geschehnisse können natürlich auch das Objekt einer wissenschaftlichen oder sogar gesellschaftlichen Debatte sein. Die Fakten müssen dabei beachten werden, doch die Interpretationen können manchmal voneinander abweichen.

Die sture Haltung der Türkei gegenüber dem Massaker von 1915 ist schlichtweg kontraproduktiv. Niemand hat das Recht, Genozide zu leugnen, und über das Schicksal der Armenier muss objektiv diskutiert werden dürfen. Doch muss man sich fragen, warum sich die Nationalversammlung in Paris plötzlich dazu berufen fühlt, die Geschichte festzuschreiben und die Türkei öffentlich bloßzustellen.

Integration statt Ablehnung

Der französische Präsident hat nie einen Hehl aus seiner Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts gemacht. Die Weigerung, ein Land mit rund 75 Millionen Einwohnern in die Europäische Union aufzunehmen (Ankara hätte demnach einen bedeutenden politischen Einfluss und könnte zu einem Konkurrenten für Frankreichs werden), gefällt einem Teil der rechtsgerichteten und ultrarechten Wählerschaft. Vor allem auch deshalb, weil die Mehrheit der Türken Muslime sind. Genau hier liegt der springende Punkt: Es ging bei der Abstimmung viel weniger um das Geschichtliche als um ein innenpolitisches Kalkül. Nächstes Jahr sind in Frankreich Präsidentschaftswahlen und Sarkozys Aussichten auf ein zweites Mandat sind derzeit eher schlecht. Demnach greift er wie bereits vor fünf Jahren in die populistische Trickkiste und versucht mit einer unterschwelligen Islamfeindlichkeit um die Wähler des „Front national“ zu buhlen. Diese Strategie ist ohne Zweifel verwerflich. Und aus außenpolitischer Sicht begeht Sarkozy mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Türkei einen großen Fehler.

Ankara hat sich in den letzten Jahren in Nordafrika und im Nahen Osten zu einem der wichtigsten „Player“ entwickelt. Aus einer geopolitischen Perspektive gesehen, wäre es für Europa vorteilhaft, wenn es die Türkei integrieren würde. Die rezenten Revolutionen in Tunesien und Ägypten haben die mögliche Vorbildrolle der Türkei hervorgehoben und das Land hat dadurch noch an Wichtigkeit hinzugewonnen.

Die ganzen Diskussionen über einen angeblichen Unterschied der Kulturen sind hingegen purer Unfug und das Pochen auf festgelegte geografische Grenzen ist nur ein Vorwand, um die Türkei fernzuhalten.

Die politische Führung in Frankreich hat also wieder einmal demonstriert, wie kurzfristige und egoistische Bestrebungen die außenpolitischen und die langfristig sinnvollen Interessen überschatten.