Molenbeek-Gare

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Staatliche Abgabe statt Repression

Was der Oberstadt ihre Bettler, sind dem Bahnhofsviertel seine Dealer und Junkies. Von einem rechtsfreien Raum ging bisweilen die Rede, dem Molenbeek des luxemburgischen Drogenterrors.

Für den „ehrlichen“ Geschäftsmann zwischen Gare und place de Strasbourg war die Situation unerträglich geworden. Die Schließung des Polizeikommissariats in der rue Glesener, wo die geplante Unterbringung von Flüchtlingen noch um Haaresbreite verhindert werden konnte, wurde als Ursache für die Eskalation ausgemacht. Die einzige Lösung der Stadt Luxemburg und der Regierung heißt: mehr Überwachung.

Seither vergeht kaum ein Tag, an dem die „Task Force“ der Polizei nicht einen kleinen Dealer oder einen Heroin- oder Kokainkonsumenten verhaftet. Dabei sind Verbot und Repression die eigentlichen Ursachen für das Elend im Bahnhofsviertel.

Die meisten Substanzen, die wir heute als „harte“ Drogen kennen, wurden seit den 1920er-Jahren aus moralischen und (geo-)politischen Gründen nach und nach dämonisiert und unter Verbot gestellt. Seitdem hat sich die Drogenpolitik der westlichen Staaten kaum verändert. Fast überall wird auf Repression gesetzt. Nur wenige Länder haben sich bislang an das von vielen Wissenschaftlern und Experten befürwortete Modell der kontrollierten staatlichen Abgabe herangewagt.
Und das, obwohl die Repression in all den Jahren rein gar nichts an der Drogenproblematik geändert hat. Auch in der luxemburgischen Hauptstadt wird die rezente polizeiliche Offensive keine nachhaltigen Folgen haben. Die Konsumenten werden vorübergehend keine gute Ware für ihr hart verdientes Geld erhalten, was, wie bei jedem „normalen“ Verbraucher auch, zu großer Unzufriedenheit führen wird.

Bis die Szene sich in ein anderes Viertel oder eine andere Stadt verlagert und sich alles wieder normalisiert, werden sie damit leben müssen.

Die kleinen Dealer, die in dieser Zeit verhaftet werden, bleiben einige Tage, Wochen oder vielleicht auch Monate im Gefängnis, was ihnen persönlich auch nicht weiterhilft.

Gegen die Großimporteure von Heroin und Kokain, die über das nötige Geld und die Infrastruktur verfügen, um die Substanzen in großen Mengen aus den Anbauländern im Mittleren Osten, in Südasien oder Südamerika einzuführen, wird eher selten vorgegangen, weil die staatlichen Behörden gegen diese gut organisierten Netzwerke machtlos sind.
Doch der illegale Import und das kriminelle Geschäft mit Rauschmitteln werden erst durch das Verbot ermöglicht, das häufig mit der Wirkung und dem hohen Suchtpotenzial von Drogen begründet wird. Nur ist die Wirkung von Substanzen sehr abhängig von der Dosierung und vor allem vom gesellschaftlichen Kontext: Fünf Bier am Morgen auf der Arbeit wirken anders als fünf Bier am Wochenende in der Kneipe oder auf dem Karnevalsfest, wo fast alle betrunken sind. Raucher fühlen sich inmitten von argwöhnischen Nichtrauchern anders als in der Raucherkneipe.
Zusätzlich verstärkt wird die Wirkung demnach dadurch, dass die Substanz verboten ist und der Konsum sowie die Beschaffung hart bestraft werden. Das beständige Gefühl, täglich in der Illegalität zu leben, stellt für Drogenkonsumenten eine hohe psychische Belastung dar, die häufig dazu führt, dass sie ihre Arbeit verlieren und in die Armut abrutschen. Nicht zu vergessen die gesundheitsschädlichen Zusatzstoffe, mit denen die Rauschmittel gestreckt werden, um mehr Geld zu verdienen.

Was das hohe Suchtpotenzial angeht, stelle man sich mal vor, die EU oder die Regierung würde morgen den Verkauf und den Konsum der für die allermeisten Zivilisationskrankheiten verantwortlichen Substanzen Salz und Zucker unter Strafe stellen. Dann würde nicht nur die Zahl der Drogensüchtigen rasant ansteigen. Auch die Polizei wäre ein für allemal überfordert.