Mogelpackung

Mogelpackung
(Tageblatt)

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In den 70er Jahren galten Gegner der Atomkraft bestenfalls als ökonomisch unterbelichtet. Atomkraft segne uns mit Strom, billig wie Dreck, so behaupteten damals die Atomapostel. Saft, fast zu billig, als dass es sich noch richtig lohnen würde, Stromzähler aufzustellen.

Doch die „ökonomisch Unterbelichteten“ warfen den Nuklearanhängern damals schon vor, dass sie die Öffentlichkeit mit Milchmädchenrechnungen hinters Licht führen würden. Vor allem, weil in den rosarot getönten Kostenrechnungen der Nuklearbefürworter die Langzeitkosten, von der Endlagerung des Abfalls bis hin zur „Dekonstruktion“, also dem fachgerechten Abriss der Meiler, meist großzügig übersehen worden waren.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Und zwar allein schon deswegen, weil die Anhänger der Atomenergie meist weder willens noch in der Lage waren, hierzu realitätskonforme Berechnungen anzustellen. Wer nun aber Kostenfaktoren, die er nicht zu kalkulieren weiß, der Einfachheit halber mit lächerlich niedrigen Beträgen in den Bilanzplanungen einsetzt, der macht sich des Betrugs an der Allgemeinheit schuldig.

Es ist wohl kein Zufall, dass der Londoner Economist, ein journalistischer Bannerträger des Wirtschaftsliberalismus, sich seit Jahren gegen die Atomkraft ausspricht, ganz einfach, weil diese ohne massive staatliche Subventionen, die insbesondere in Form von Garantien für Langzeitfolgen im Bereich von Umwelt und Gesundheit fällig werden, ganz einfach undenkbar ist. In einem privatwirtschaftlich verfassten und sauber funktionierenden Markt (so es dergleichen denn überhaupt geben sollte) ist die Atomkraft deswegen ein Ding der Unmöglichkeit, ganz einfach, weil sie vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt gesehen nicht funktioniert.

Und vor allem, wenn mal wirklich was schiefgeht, dann ist es ohnehin der Steuerzahler, der blechen muss, während sich die schuldigen Betreiber in die Pleite retten.

Atomkraft ist daher auf lange Sicht, zumindest in einer Reihe von Ländern, die ihre Energiepolitik zu wesentlichen Teilen darauf gründeten, ein Musterbeispiel für die Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der Verluste. Und selbst in den Ländern, in denen das Atombusiness von vornherein zur Gänze in staatlichen Händen liegt, ist es immer noch so, dass für die Langzeitfolgen andere Menschen aufkommen müssen als jene, die diese Politik einst ins Werk gesetzt haben, nämlich die kommenden Generationen.

In Deutschland entdeckt man nun „plötzlich“, dass eine Reihe von Energiefirmen die langfristigen Kosten für den Abriss der Kraftwerke deutlich zu niedrig veranschlagt haben.

Oh Wunder! Hätten sie nämlich für diese Kosten über die Jahre hinweg realistisch berechnete Rückstellungen in den Bilanzen vorgesehen, hätten diese natürlich deutlich anämischer ausgesehen. Was sich notwendigerweise auch nachteilig auf die Dividenden für öffentliche wie private Aktionäre ausgewirkt hätte.

So entpuppt sich die Atomkraft zusehends als jene Mogelpackung, als die sie ihre Kritiker schon vor Jahrzehnten angeprangert hatten. Und als Musterbeispiel dafür, was passieren kann, wenn sich großindustrieller Lobbyismus gegen alle Erwägungen wirtschaftlicher und ökologischer Vernunft durchzusetzen vermag.