Zu: „Die Chimäre der amerikanischen Nukleargarantie für Europa“ von Armand Clesse im Tageblatt vom 10. März 2025.
80 Jahre Frieden, aufgebaut, nach Armand Clesse, auf einer Fiktion, auf Sand, auf hohlen Versprechen seitens der USA. Clesse sagt, westeuropäische Verbündete gaben sich heute verblüfft, entsetzt, empört, ob der unglaubwürdig gewordenen amerikanischen Nukleargarantie. Und dabei sei doch alles beim Alten geblieben. Diese nur scheinbare Unglaubwürdigkeit erkläre sich anhand der dem nuklearen Phänomen innewohnenden Gesetzmäßigkeiten. Außer Clesse haben anscheinend die europäischen NATO-Mitglieder es versäumt, die nukleare Revolution intellektuell zu verarbeiten. In dem Fall haben wir schlicht viel Glück gehabt. Es war aber auch nicht sehr einfach, denn, nach Clesse gibt es keinen Atomschirm und es hat ihn nie gegeben, weil es ihn nicht geben kann. In Clesses Augen ist dies eine äußerst schwierige, delikate Frage von enormer politischer, militärischer, ja sogar ethischer Tragweite. Auf einmal hat die Fiktion eine enorme Tragweite. Als Leser fühle ich mich hier solidarisch mit den intellektuell minderbegabten NATO-Mitgliedern. Aber ich bin nicht in der Lage, Clesse in seinem Strudel aus Fiktion, Ethik und militärischer Tragweite zu folgen – alles Konzepte, welche die innewohnenden Gesetzmäßigkeiten des nuklearen Phänomens ausmachen sollen.
Jedes Schulkind wusste in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass der Frieden im Westen auf dem Gleichgewicht des atomaren Terrors ruhte, was Clesse flüchtig mit einer Art atomarem Patt ab 1953 erwähnt. Genau das war die Garantie für jedermann, auch für Drittländer. Weil ein Nuklearkrieg die Vernichtung eines Großteils der Zivilisation bedeutet hatte und noch immer bedeuten würde. Um zu verstehen, dass zwei oder mehrere Großmächte nur dadurch keinen atomaren Krieg miteinander führen, nämlich aus Angst vor einer gegenseitigen Vernichtung, bedarf es keiner speziellen intellektuellen Fähigkeiten. Letztere waren in den höheren Machtsphären erforderlich gewesen, um dasselbe Resultat ohne Atomwaffen zu erreichen. Aber natürlich hat Clesse auch recht mit seiner Fiktion des atomaren Schirms. Die denkende Menschheit kommt nicht ohne Fiktionen aus, im Guten wie im Bösen. Kultur auf der einen Seite, todbringende Ideologien auf der anderen. Wir töten und sterben für Fiktionen. Fakt aber ist, dass nach dem immer noch nachwirkenden Trauma von Hiroshima und Nagasaki keiner, auch nicht unter den weniger begabten Regierungschefs, auf den Knopf gedrückt hat. Ein Zeichen dafür, dass die Chimäre es noch immer in sich hat.
Im Kaffeesatz kann ich nicht lesen.
De Maart
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