Dienstag21. Oktober 2025

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Leserforum„Le tout en même temps“ oder vom Verschwinden politischer Unterschiede

Leserforum / „Le tout en même temps“ oder vom Verschwinden politischer Unterschiede

Als ich für meine Dissertation Hunderte von Artikeln aus den damals meinungsbildenden Zeitungen TB und LW zum Thema „Schwangerschaftsabbruch in der Ära Gaston Thorn“ studierte, wurde deutlich: Die 1970er Jahre waren der beste Schutzwall gegen politische Ränder. Das TB und das LW stritten mitunter polemisch über normative Themen wie Gefängnisreform, Abschaffung der Todesstrafe, Ehescheidungsreform und eben das Recht auf Abtreibung. Das LW sprach dann auch hyperbolisch von „Tötung“, das TB mitunter euphemistisch von „Abbruch“, so, als könnte man die Schwangerschaft nach dem Eingriff wieder fortsetzen. Beide Seiten flohen in ideologische Schutzräume. Im Vordergrund aber stand der Mut zur eigenen, wertebasierten Position. Die Leser konnten sich aufgrund der scharfen Konturierung dabei parteipolitisch wiedererkennen. Ganz anders heute: von „déi Lénk“ bis CSV nur Einheitsbrei, zentripetale Anbiederung an den politischen Mainstream. Man will dem Zeitgeist gefallen.

Das LW grub sich damals mit der „Luussert“-Glosse in diskursethischer Hinsicht eine Grube, aus der es lange nicht mehr herauskam. Die sozialliberale Regierung hatte Mut und bereitete der tödlichen Engelmacherinnen-Praxis in Luxemburg ein Ende. Künftig hatten Frauen das Recht, aufgrund einer präzisen Indikation fristgebunden die „abruptio graviditatis“ zu beantragen.

Ein halbes Jahrhundert später kommt es nach dem Vorstoß eines Oppositionspolitikers zu einer Verbriefung dieses Rechts in unserer Verfassung. Der Streit um das beste Argument ist in den beiden wichtigsten Luxemburger Zeitungen einer gähnenden Langeweile gewichen. Gefühlt sind alle für den Vorstoß, mit nur kleinen Nuancen je nach Partei. Warum fusionieren alle diese Parteien nicht einfach unter dem Namen „Linksliberal-ökologisch-nachhaltige, primär agnostisch und peripher christlich-soziale Elitenpartei“?

Was mich umtreibt, ist nicht das einzelne Recht irgendeiner Personengruppe, sondern die Verflachung des Diskurses. Eine Demokratie ist aber nur dann wehrfähig, wenn sie intelligente Vertreter hat, die ihre jeweiligen Positionen, wenn nötig, gegen großen Widerstand verständlich und klar vortragen. Der Einheitsbrei ist der Humus, auf dem die Ränder gedeihen, vgl. Deutschland und Frankreich!

Mein Appell an die Politiker: Mehr Mut zum Unterschied wagen, raus aus der Mainstream-Komfortzone. Demokratie = Streit für Ideen, ideenbasierter Streit = produktiv.