Im Heimatland des Hooliganismus ist das ja nun auch nicht weiter überraschend.
Aber so einfach kann die Analyse dieser tragischen Ereignisse nicht sein. Die Intensität der Gewalt in den vergangenen Tagen hat vielmehr zweifelsohne ihre Wurzeln im Verhältnis der britischen Politik gegenüber den unteren Schichten der Gesellschaft. Gerade England ist als Klassengesellschaft viel ausgeprägter als die Länder des Kontinents: Die Verachtung der „Chavs“, des Prekariats durch die Ober- und Mittelklasse hat hier eine jahrhundertelange Tradition.
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(Foto: editpress)
Spätestens seit dem Amtsantritt von Margaret Thatcher im Jahre 1979, als in England der Wirtschaftsliberalismus zur Staatsdoktrin wurde, hatten die Proleten auf der Insel nichts mehr zu lachen. Vor allem, da sich mit dem Anbruch der Blair-Ära die sog. „Labour“-Partei zum Ziel gesetzt hatte, die Interessen der Reichen mit einer Konsequenz zu vertreten, die sogar manche Konservative vor Neid erblassen ließ. Die Briten ließen ihre Industrie größtenteils vor die Hunde gehen (im Mutterland der Eisenbahn gibt es noch ein einziges Werk, das Bahnfahrzeuge herstellt – es steht vor der Schließung) und verkündeten stattdessen den Anbruch der „Service-“ und „Wissensgesellschaft“.
Neoliberaler Humbug
Große Teile der britischen Gesellschaft aber blieben bei diesem neoliberalen Humbug außen vor. Für sie gab es nur Hungerlöhne, prekäre Teilzeitjobs und die Arbeitslosigkeit.
Nach mehreren Jahrzehnten neoliberalen Regimes in Großbritannien liegt die Produktivität der britischen Arbeitnehmer nach wie vor unter jener der führenden europäischen Wirtschaftsnationen, während die Qualifikation unzähliger Beschäftigter in einem Land, das einige der besten Universitäten der Welt aufzuweisen hat, unverändert mau bis miserabel ist.
Nun sieht es ganz danach aus, als ob der Deckel vom Topf flöge. Doch dem konservativen Premier Cameron fällt nicht viel Besseres ein, als die repressiven Befugnisse der Staatsmacht zu verstärken. Die Ursachen der tiefgreifenden Unzufriedenheit werden hingegen nicht beseitigt: Es steht nicht zu erwarten, dass Britannien in absehbarer Zukunft zu einer gleicheren, gerechteren Gesellschaft werden könnte.
Doch das Aufbegehren der jungen Generationen wird nicht auf Großbritannien beschränkt bleiben: Unzählige europäische Jugendliche fühlen sich total veräppelt, wenn sie entdecken müssen, dass ihr Universitätsdiplom ihnen in keiner Weise einen anständigen Lebensstandard gewährleisten kann. Dies nämlich nachdem man ihnen ihre ganze Schulkarriere lang eingebläut hat, dass ihnen Wissen und Bildung als höchstes Gut zu gelten hätten.
Unzählige junge Diplomierte müssen in der heutigen neoliberalen Wirtschaftsordnung jahrelang als unterbezahlte „Praktikanten“ Sklavenarbeit leisten oder sich von einem „Intérim“-Vertrag in den anderen retten. Das sei heute nun einmal so, erklären uns die marktfundamentalistischen Zyniker.
Aber die jungen Menschen, die gegen die Ungerechtigkeit aufbegehren, wissen nur allzu genau: Das ist nur deshalb so, weil die Politik vor den „Märkten“ abgedankt hat und es ablehnt, ihre elementare Pflicht zu leisten, nämlich die Plutokraten in ihre Schranken zu verweisen.
De Maart

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