ForumDie Förderung des gesunden Alterns

Forum / Die Förderung des gesunden Alterns
 Foto: dpa/Christoph Schmidt

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Der Zugang zu einer spezifischen psychologischen und psychiatrischen Versorgung für ältere Menschen ist in Luxemburg sehr heterogen und geografisch ungleichmäßig verteilt. Das Unterbringungsangebot für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen ist nicht ausreichend und die Verbindungen der psychiatrischen Versorgung mit der geriatrischen Versorgung und dem medizinisch-sozialen Netz sind wenig formalisiert.

Alle älteren Menschen sollten gleich gut behandelt werden und Priorität sollte die Vorbeugung gegen den Verlust der Selbstständigkeit sein. Hilfsangebote für Senioren*innen sind nützlich und sollten dazu beitragen, dass diese weiterhin am sozialen Leben teilnehmen und körperlich aktiv bleiben, betreut oder alleine Urlaub machen können und vor Betrugsmaschen geschützt werden. Es gilt Präventionspläne zu verstärken, die zu einem gesunden Altern, zum Erhalt der Selbstständigkeit, zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit (z.B. Osteoporoseprävention, Gedächtnisklinik usw.) und zur Reduktion von Alterseinsamkeit beitragen. Allerdings wird der Prävention zum aktuellen Zeitpunkt weder von der Gesundheitskasse noch von der Pflegeversicherung ausreichend Rechnung getragen. Beispielsweise sind präventive Hausbesuche, um Senioren*innen mit einem Pflegebedürftigkeitsrisiko vorbeugend aufzusuchen, nicht vorgesehen. Und wenn Wohnen im früheren Zuhause nicht mehr möglich ist, können seniorengerechte Wohnungen und Alterswohngemeinschaften, Mehrgenerationenhäuser und Seniorenrestaurants teilweise Alternativen zu Altenheimen sein, dies am besten in der Gemeinde, in der die Senioren*innen leben. Hier ist allerdings dringend ein funktionsfähiger Adapto-Service notwendig, um eine selbstständige Fortbewegung bei eingeschränkter Mobilität zu ermöglichen. Eine niedrigschwellige professionelle Erhebung von Risikofaktoren sowie eine Beratung, um alleine zu Hause leben zu können, würden eine vorzeitige Überweisung in Pflegeeinrichtungen ebenfalls vermeiden oder gegebenenfalls empfehlen. Hier könnten eine Versorgung auf Gemeindeebene sowie quartiernahe Konzepte auch vorbeugend wirken, durch bewusst altersfreundlich gestaltete Viertel und dem Aufbau eines informellen Unterstützungsnetzwerkes.

Auch die bestehenden Angebote der digitalen Unterstützung sind ausbaubar. Ein „Telealarm“ erlaubt jetzt schon ein rasches Handeln im Notfall, digitale Kommunikation ermöglicht es Senioren*innen, mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben, soziale Kontakte zu knüpfen und über kulturelle Angebote informiert zu bleiben, und ein „Wristband“ bietet ein individuelles Monitoring der Körperparameter und der täglichen Aktivität. Seniorensport beeinflusst die Gesundheit älterer Menschen positiv und kann auch digital interaktiv angeboten werden, beispielsweise um die mit einer Demenz einhergehende Apathie zu mindern.

Demenzfreundliche Krankenhäuser

Ein Screening der Depression und anderer psychischer Probleme im Alter sollte systematisch sein. Durch die Nutzung des elektronischen Patientendossiers ließe sich das Problem der Polymedikation im Alter minimieren und der Verlust der medizinischen Vorgeschichte des alternden Menschen beim Umzug in eine andere Wohneinrichtung vermeiden. Senioren*innen brauchen deshalb ein qualifiziertes Personal zur Unterstützung im Bereich der individuellen Gesundheitsversorgung. Alle Gesundheitsberufe spielen eine wichtige Rolle in diesem Versorgungsauftrag. Es gilt aber auch schnellstmöglich die Spezialisierung zur/zum Geriater*in und die Ausbildung zur/zum geriatrischen Krankenpfleger*in hierzulande anzubieten.

Mit dem ambulanten Sektor vernetzte stationäre Angebote können die vorhandene Versorgung ergänzen und eine schnelle Reaktion auf Krisensituationen oder psychiatrische Dekompensationen bei älteren Menschen erlauben. Ein Aufenthalt in einer Klinik sollte nur so lange wie nötig sein und sich auf Standardindikationen basieren. Ebenfalls müsste ein nationales Konzept für demenzfreundliche Krankenhäuser erarbeitet und implementiert werden, um die krankenhausspezifischen Abläufe bestmöglich an diese vulnerable Gruppe anzupassen. Hierdurch kann akuten Verwirrungen, welche ein solch disruptiver Krankenhausaufenthalt mit sich bringt, vorgebeugt werden. Die schnelle Weiterleitung an den ambulanten Langzeitbereich steht dabei im Vordergrund. Ältere Menschen mit einer Demenzerkrankung und zusätzlichen somatischen Problemen brauchen z.B. spezielle Angebote, um die Fluchtgefährdung und Selbstgefahr zu minimieren, und eine solche Behandlung hat in einer geschlossenen Psychiatrie nicht ihren Platz. Es bedarf spezialisierter stationärer und tagesklinischer Einheiten, um den medizinischen Bedürfnissen dieser und anderer Patienten Sorge zu tragen. Das Konzept der familienzentrierten Pflege erlaubt es, in enger Zusammenarbeit mit den Angehörigen, die Balance zwischen Sicherheit und Verantwortung sowie der Freiheit und Lebensqualität der Betroffenen zu finden.

Medikamentengabe auf ein Minimum beschränken

In der Gerontopsychiatrie geht es darum, sowohl die im Alter fortbestehenden als auch die im Alter auftretenden psychiatrischen Erkrankungen zu behandeln, aber auch den Verlust des psychischen Gleichgewichts in Verbindung mit anderen Erkrankungen und Behinderungen (Psychogeriatrie) sowie den kognitiven Verfall mit psychischen und Verhaltensstörungen zu begegnen. Die Pflege in der Gerontopsychiatrie ist also gleichzeitig eine psychiatrische Pflege, an eine pflegebedürftige Person mit einer langen Biografie, in einer sich verändernden Umgebung, ein Kontakt mit vielfältigen familiären Mitgliedern und gesundheitspflegenden Berufen, aber auch eine gerontologische multidimensionale Pflege, unter Berücksichtigung geriatrischer Schwächen und medizinischer Komorbiditäten.

Die Mechanismen, die zu psychopathologischen Störungen im Alter führen, sind meist vielfältig; ein multikausaler Ansatz ist daher sinnvoll. Eine Differenzialdiagnose ist mehrheitlich indiziert, da viele Störungen verschleiert erscheinen oder oft die gleiche zugrundeliegende Ursache aufweisen. Häufig sind somatische, psychische und soziale Komponenten miteinander verflochten, sodass ein ausreichend spezialisiertes Team und eine strukturell gut entwickelte interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich ist.

Die Medikamentengabe ist auf ein striktes Minimum zu beschränken und der Hauptakzent sollte die Behandlung der psychokomportementalen Symptome sein. Die gleichzeitige Einnahme mehrerer Arzneimittel ist bei älteren Menschen weit verbreitet und setzt diese einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen wie Verwirrtheit, Harnverhalt oder Stürzen aus. Verschiedene Medikamente sollten im Alter ausgewechselt, abgesetzt oder reduziert werden, mit Unterstützung der Apotheker*innen. Hier könnte der „Conseil scientifique du semaine de la santé“ landesweite Empfehlungen geben. Die Qualitätskriterien, welche vor kurzem reformiert wurden, müssen hier unbedingt auf sinnvolle Ergebnisse und weniger auf Prozesse ausgerichtet werden. Diese sollten einem unabhängigen Kontrollorgan erlauben, unerwünschte Ereignisse wie freiheitsentziehende Maßnahmen und Sedierung in den Einrichtungen zu überwachen und schnellstmöglich einzugreifen. Ebenfalls müssten diese Qualitätskriterien, und nicht nur die Einrichtungspreise, transparent einsehbar sein, sodass die Betroffenen und die Angehörigen sich mit bestem Wissen und Gewissen für (oder gegen) eine Einrichtung entscheiden können.

Jeder sollte glücklich altern können

Hauptziel jeder Behandlung bleibt der Erhalt der Autonomie und der körperlichen und psychischen Gesundheit. Auch die Würde des älteren Menschen ist unantastbar und jegliche Infantilisation sollte vermieden werden. Nur ein umfassender, auf die Person ausgerichteter Ansatz kann eine solche Behandlung garantieren. Ein interdisziplinäres Team sollte eine umfassende bio-psychosoziale Bewertung der Gesundheit anbieten, schnell und flexibel intervenieren (einschließlich der Intervention zu Hause oder im Wohnumfeld), auf die Genesung und Stabilisierung ausgerichtet sein, mit Einbeziehung und Unterstützung von Angehörigen. Ein solches Team trüge, durch Sensibilisierung und Aufklärung der Bevölkerung sowie der politischen Entscheidungsträger*innen, zur Förderung der psychischen Gesundheit von Senioren*innen bei.

Ältere Menschen haben besondere spezifische Bedürfnisse, und diesen gilt es als Gesellschaft Rechnung zu tragen, durch eine Zugänglichkeit, eine Kontinuität und Integration der evidenzbasierten Versorgung. Glücklich altern, das möchten wir alle, und dies jeder Person zu ermöglichen, daran sollten wir arbeiten.

Dr. med. Dr. sc. med. Jean-Marc Cloos ist Psychiater, Projektmanager und medizinischer Direktor. Er war lange in der Suchttherapie aktiv und ist gerontopsychiatrisch ausgebildet. Er ist Kandidat von „déi gréng“ Zentrum bei den diesjährigen Parlamentswahlen.
Dr. med. Dr. sc. med. Jean-Marc Cloos ist Psychiater, Projektmanager und medizinischer Direktor. Er war lange in der Suchttherapie aktiv und ist gerontopsychiatrisch ausgebildet. Er ist Kandidat von „déi gréng“ Zentrum bei den diesjährigen Parlamentswahlen. Foto: Editpress/Julien Garroy

Zur Info: Die Geriatrieabteilung des CHL organisiert am Donnerstag, dem 5. Oktober, von 14.30 bis 19.30 Uhr einen Thementag über Innovationen im Bereich Geriatrie. Anmeldung bis zum 30. September über www.chl.lu/fr/agenda/journee-geriatrie-2023.