Am Scheideweg: Corbyn oder Macron

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Nando Pasqualoni und Nico Wennmacher zur Misere der europäischen Sozialdemokratie.

Bezüglich des Wählerschwundes bei den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in Europa und Luxemburg mangelt es keineswegs an Kommentaren und Ratschlägen, was gegen den Abwärtstrend zu tun sei. Erfreulicherweise gibt es auch positive Beispiele, wo sozialistische und linke Parteien in der Wählergunst zulegt haben – etwa in Großbritannien.

Auf Luxemburg bezogen wäre sicher eine tiefer gehende Analyse über den seit Jahren feststellbaren Abwärtstrend bei der LSAP sinnvoll, um davon ausgehend eine Standortbestimmung vorzunehmen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Dabei wird man sicher feststellen, dass langfristig gesehen der Wählerverlust im Zusammenhang steht mit dem Abbau von sozialen Errungenschaften sowie dem Mittragen von Liberalisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen. Diese Entwicklung führte zwangsläufig zu einer gewissen Entfremdung mit den Gewerkschaften.

Auch die rezenten Verluste bei den Kommunalwahlen sind nicht nur lokal bedingt, sondern zeigen auch, dass die sozialistische Partei nicht mehr wahrgenommen wird als die Verteidigerin der Interessen der arbeitenden Menschen.

Nach dem Regierungswechsel infolge der Legislativwahlen von 2013, setzte sich der Abwärtstrend weiter und konnte bis heute nicht umgekehrt werden.

Die Ursachen hierfür sind u.a. das Festhalten an der restriktiven Haushaltspolitik und dem zu diesem Zweck auf den Weg gebrachten „Zukunftspakt“, der eine ganze Reihe von Sozialabbaumaßnahmen beinhaltete. Aufgrund von innerparteilichen und Gewerkschaftsprotesten wurde zwar zum Teil Abschied von diesem Sparkurs genommen, ohne aber eine reale Änderung der Politik einzuleiten. Der auf dem Kongress vom 20. März 2016 verabschiedete sozialistische Leitfaden ließ Hoffnung auf eine Reorientierung auf eine linke Politik aufkommen. Leider erwies dies sich als Trugschluss.

Wachstumsverlierer

Letzteres wird überaus deutlich, wenn man sich der staatlichen Haushaltsvorlage für 2018 zuwendet. Hieraus wird ersichtlich, dass die luxemburgische Wirtschaft boomt und die Staatsfinanzen sich einer exzellenten Gesundheit erfreuen. Leider ist von diesen wirtschaftlichen und finanziellen Erfolgen bisweilen recht wenig bei den aktiven und pensionierten Arbeitnehmern angekommen. Schlimmer noch! Die Armutsgefährdung, auch bei denjenigen, die einer geregelten Beschäftigung nachgehen, steigt unaufhaltsam an.

Auch bei vielen Menschen, die sich zur sogenannten Einkommensmittelschicht zählen, nimmt die Angst eines sozialen Abstiegs zu. Die Befürchtung, dass sie mit ihren Familien in die Armut abrutschen, greift um sich. Sie sehen ihren bescheidenen Lebensstandard in der Zukunft bedroht. Zurzeit wird das Recht auf eine dezente Wohnung für viele zu einem unerreichbaren Luxus.

Im sozialistischen Leitfaden sind Maßnahmen angegeben, um den angesprochen sozialen Verwerfungen zu begegnen. So müsste die darin vorgesehene strukturelle Erhöhung des Mindestlohnes in die praktische Umsetzungsphase kommen. Die von Arbeitsminister Nicolas Schmit erklärte Bereitschaft, sich in dieser Richtung zu bewegen, müsste von allen Mandatsträgern unterstützt werden, um die Mindestlohnbezieher endlich vom Armutsrisiko zu befreien.

Glaubwürdigkeitsproblem

Es klingt unglaubwürdig, wenn auf Jubelveranstaltungen Mandatsträger kundtun, die wirtschaftlichen und technologischen Erfolge müssten dem sozialen Fortschritt dienen, wenn auf der anderen Seite tatenlos zugesehen wird, wie einerseits die Lohnquote sinkt und andrerseits die Unternehmensgewinne Höchststände feiern.

Auch im Steuerbereich hatte man aus sozialistischer Sicht erwartet, dass im Haushaltsgesetz die Unzulänglichkeiten der rezenten Steuerreform ausgebügelt würden. Die Befreiung des Mindestlohnes von der Steuer und die regelmäßige Anpassung der Steuertabelle an die Indexentwicklung würden den Wachstumsverlierern zugutekommen.

Im Sinne von mehr Steuergerechtigkeit ist es endlich an der Zeit, dass die Wiedereinführung der Vermögenssteuer für physische Personen und die Erbschaftssteuer in direkter Linie thematisiert werden. Bei der Erbschaftssteuer sollten Freibeträge festgelegt werden, die verhindern, dass beim Vererben des Elternhauses die Erben belastet werden.

Verteidigungs- statt Sozialunion

Aufgrund der jetzigen Situation wählen reiche Ausländer Luxemburg als effektiven oder fiktiven Wohnsitz. Sie entziehen sich in ihrem Land der Steuer und bezahlen auch hier keine Steuern. Dies führt aber dazu, dass sich die Wohnungen auf dem Luxemburger Wohnungsmarkt verteuern.

Im sozialistischen Leitfaden von 2016 wurde auch eine europäische Sozialunion mit verbindlichen sozialen Rechten für die europäischen Arbeitnehmer als politisches Ziel definiert. Von dieser Sozialunion entfernen wir uns immer weiter. Im Gegensatz hierzu einigten sich die europäischen Minister auf eine Verteidigungsunion, wobei alle Mitgliedsländer ihre Militärausgaben erhöhen müssen. Auch unsere Militärausgaben werden in den kommenden Jahren drastisch ansteigen und unsere Soldaten beteiligen sich derzeit unter deutschem Kommando an Militärspielen im fernen Litauen. Um die Steigerung der Militärausgaben zu rechtfertigen, werden, ähnlich wie im Kalten Krieg, durch Propaganda wieder Feindbilder erkoren. Das Russland Putins und die islamistische Terrorismusgefahr übernehmen die Rolle der ehemaligen Sowjetunion.

Diese Politik sichert nicht den Frieden, sondern macht die Welt unsicherer. Sie bindet finanzielle Mittel, die in der europäischen Sozialpolitik und in der Entwicklungspolitik weitaus sinnvoller angewendet werden könnten. Hier stehen vor allem die Interessen der Rüstungsindustrie im Mittelpunkt. Diese sinnlose Hochrüstung bringt vor allem dieser mächtigen Lobby sehr viel Geld. Sinnlos ist sie, weil des Militär mit den aktuellen Beständen an konventionellen, chemischen, biologischen und atomaren Waffen unsere Welt mehrmals zerstören könnte.

Sicherheitspolitik mit eigenen Ideen ausgestalten

Die sozialistischen und sozialdemokratischen Kräfte müssen ihre eigenen Vorstellungen zu einer kollektiven Sicherheitspolitik definieren. Zurzeit stellen wir uns immer wieder hinter eine abenteuerliche „europäische Verteidigungspolitik“, die von Deutschland und im Wesentlichen von den USA definiert wird. Diese aggressive Einschüchterungspolitik birgt die Gefahr von weiteren militärischen Konflikten in sich und es wäre sinnvoll, europäische Interessen durch Diplomatie und Kooperation zu gestalten.

Im Sinne klassischer sozialdemokratischer Friedenpolitik sollten militärische Aggressionen verhindert werden durch eine Strategie der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit der Armeen. Die wirtschaftliche Kooperation sollte so ausgerichtet werden, dass auf vielen Feldern gemeinsame Interessen entstehen und Zusammenarbeit einen größeren Stellenwert bekommt.

In der heutigen Situation technologischer, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Umbrüche muss unserer Ansicht nach eine sozialistische Partei mutige Entscheidungen treffen. Ihre strategische, grundlegende Ausrichtung muss Priorität haben gegenüber wahltaktischen Überlegungen.

Es ist in gewisser Hinsicht, bezogen auf europäische Beispiele, die Wahl zwischen „Corbynismus und Macronismus“.

Macron ist Thatcher im neuen Look

Die Gefahr des schleichenden salariatsfeindlichen Macronismus, der von sich behauptet, er wäre weder links noch rechts, ist ein Ammenmärchen von teuer bezahlten Politikberatern. Macronismus ist moderner Thatcherismus – in einem neuen Look.

Eine Alternative für uns sehen wir im Politikansatz Jeremy Corbyns. Er stellt die Frage der gerechten Umverteilung des geschaffenen Reichtums in das Zentrum seiner politischen Veränderungen. Über diesen Weg soll die Politik sich die notwendigen finanziellen Spielräume verschaffen, um eine bessere sozialere Zukunft zu gestalten.

Hierzu sind, mit Blick auf die zukünftigen Wahlen, ein sozialfortschrittliches Programm und ein Spitzenkandidat, der ein solches Programm glaubwürdig vertreten kann, eine wichtige Vorbedingung.

Von Nando Pasqualoni & Nico Wennmacher

Grober Jean-Paul
8. Dezember 2017 - 12.59

Hoffe, dass die ein-oder andere LSAP Größe sich das Interview mit Edzard Reuter, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG, angesehen hat. (Markus Lanz vom 7.12.17). Hier hätte sich so manch Politiker der „S“ Parteien Anregungen holen können.