Es gab mal eine Zeit ohne

Es gab mal eine Zeit ohne
(Alain Rischard/editpress)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Der vorgestrige war ein Samstag wie jeder andere. Auf den Festen, in den Fußgängerzonen und in den Supermärkten drängelten sich Tausende von Leuten. Auch wenn sie verschiedene Ziele verfolgten, fast alle hatten aber etwas gemeinsam, und zwar das Smartphone in der Hand.

Während des Spaziergangs, während des Einkaufs, während des Essens, während des „Gesprächs“ mit ihren Jüngsten mailten sie, sie simsten, sie whatsappten, sie tweeteten, sie facebookten, sie googleten, sie skypten, machten Bilder und Videos, hörten Musik, spielten Spiele … und … im besten Fall informierten sie sich über das Wichtigste, was in der Welt so geschieht. Keine Zeit zum Grüßen, keine Zeit zu einem Plausch.

Roger Infalt rinfalt@tageblatt.lu

Apropos Zeit: Es gab tatsächlich mal eine Zeit vor 1983, eine Zeit ohne Handys und Handy-Seuche, ohne nervende Klingeltöne, ohne 1.500 monatliche SMS. Eine Welt ohne 100 „weltbewegende“ Telefonate täglich. Eine Welt ohne Telefon auf der Toilette, am Restauranttisch, in der Sporthalle, im Schwimmbad, im Garten oder unter der Dusche. Eine Welt, in der es noch keine Jugendlichen gab, die bereits wegen unbezahlter Rechnungen mit dem Gerichtsvollzieher zu tun bekamen. Es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der wir uns einfach so vor die Tür wagten. Wie wir das bloß hingekriegt haben?

Als Kinder saßen wir in Papas Auto, vorn oder hinten war egal. Niemand sprach von Sicherheitsgurten oder Airbags. Wir malten mit Farbe voller Blei und Cadmium. Die Putzmittelbehälter ließen sich einfach öffnen, so auch die Flasche Hustensaft aus der Apotheke. Auf das Rad konnten wir uns ohne Helm trauen. Wir blieben den ganzen Tag von zu Hause weg und niemand wusste, wo wir waren. Auf dem Frühstückstisch standen auch schon mal Kekse, auf dem Butterbrot aßen wir zentimeterdick Schokocreme, Cola stand immer griffbereit und wir tranken aus ein und derselben Flasche, ob in der Familie oder unter Freunden.

Keiner kannte die Namen Playstation, Nintendo64 oder Xbox. Das einzige Fernsehgerät im Haus hatte sechs Kanäle, keine 100 und mehr. Wir trafen unsere Freunde nicht virtuell, sondern klingelten an ihrer Tür, damit sie zum Spielen auf die Straße kamen. Wie haben wir das nur ohne vorherige SMS geschafft?

Es gab damals noch keine 40 Prozent Schüler mit Sprachentwicklungsstörungen, die Eltern redeten noch mit ihren Kindern, lasen ihnen noch aus Büchern vor, die Kinder redeten auch noch mit ihren Freunden, ohne bei jedem zweiten Wort eine Abkürzung zu gebrauchen. Es wurde nicht anonym gemeckert oder gestritten, man wusste, wessen Worte oder Fäuste es waren. Es wurden noch Liebesbriefe geschrieben, die nicht die ganze Welt mitlesen konnte. „Privat“ hatte noch eine ganz andere Bedeutung. Wir lernten noch, Entscheidungen selbst zu treffen, ohne zuerst auf ein Display schauen zu müssen.

Alles nur nostalgisches Geschwafel? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.