Eine Privatangelegenheit

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Warum Religion keinen Platz im öffentlichen Raum hat.

Gespannt schaut Europa derzeit auf Frankreich – das Land der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, der Menschenrechte, des Burkini-Verbots und -Gegenverbots, des politischen Wahlkampfes mit streng islamkritischen bis islamfeindlichen Exzessen, das Land, dessen laizistischer Staat sein Verhältnis zum Islam auf eine transparente Grundlage stellen möchte.

Eine Stiftung und eine zweite Vereinigung sollen die kulturellen, schulischen und religiösen Aspekte der Religion in Frankreich koordinieren und fördern. Statt fremdfinanziert soll ein Islam à la française geformt werden. Gelingt es Frankreich, das sich in der Regel durch politische Lagerbildung und unvereinbare Positionen ihrer Streithähne auszeichnet, diese komplexe Frage zu lösen? Religion und Werte einer freiheitlichen Gesellschaft zu vereinbaren? Ein interessanter Test ist es allemal.

Der Linkspolitiker Jean-Pierre Chevènement soll der Stiftung vorstehen. Der überzeugte Anhänger der Laizität und Kenner des Islams, so sein Ruf, eckte bereits vor zwei Wochen mit seiner Mahnung an, die Moslems mögen Diskretion bei der Auslegung ihrer Religion in der Öffentlichkeit ausüben. Mit dieser Aussage unterstellte Chevènement eigentlich nur das, was in den europäischen Gesellschaften Allgemeingut sein müsste: Dass das Ausüben einer Religion zwar eine staatlich geschützte Freiheit ist, als solche aber Privatsache bleibt, demonstrative Äußerungen religiöser Zugehörigkeit in der Öffentlichkeit tunlichst vermieden werden sollten.

Doch wo beginnt die angebliche Provokation mit religiösen Zeichen? Wo endet die Freiheit des Einzelnen, seine Überzeugungen, auch die religiösen, nach außen kundzutun? Ist das Tragen eines Ganzkörperbadeanzugs, des Kopftuchs, des Schleiers als Provokation zu werten? Wenn ja, dann gilt das genauso für die Sutane des Kaplans oder den Rock samt Kopfbedeckung der katholischen Nonnen, für die Kippa auf dem Haupt von Menschen jüdischen Glaubens, für den Turban auf dem Kopf des Hindu.

Wenn Religion eine private Angelegenheit ist, dann dürfen Mitmenschen nicht gerügt oder beschimpft werden, weil ihr Verhalten in der Öffentlichkeit von anderen als deren Weltanschauung widersprechend verstanden werden kann. In anderen Worten, wenn in einer Luxemburger öffentlichen Badeanstalt Nacktduschen Usus ist, sollte der Besucher das selbstverständlich tun dürfen, auch wenn es einen anderen stört. Mündliche Aggressionen, wie vor kurzem einem RTL-Journalisten widerfahren, sind ein No-Go.

Jean-Pierre Chevènement drückte sich mit seinem Aufruf zur Diskretion vielleicht etwas plump aus. Doch gegen offensichtliche Versuche, das laizistische Fundament einer Gesellschaft zu zerstören einerseits, antiislamische Haltungen zu politischen Kernthemen im Land zu machen anderseits, sind markante Worte, die auf die Trennung von Religion und Staat pochen, unabdingbar.

Religion bleibt Opium für das Volk. Deren sinnesbenebelnde gedankliche Konstrukte gehören nicht in den öffentlichen Raum. Wer sich ihnen hingeben will, soll es tun dürfen. Andere dazu zwingen darf er jedoch nicht. Sie gehören auch nicht auf die politische Bühne, denn sie verschleiern bloß die wirklichen Ursachen sozialer und wirtschaftlicher Missstände, deren Beseitigung sich die Politik hingeben sollte. Derartige Nebelkerzen nutzen nur jenen, denen die ungerechte Verteilung des erwirtschafteten Reichtums zupass kommt.