Die Stellvertreter

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Die breite Öffentlichkeit hat sich erst nach der Flüchtlingskrise ernsthaft mit dem syrischen Drama beschäftigt: Das akute Informationsbedürfnis vieler Menschen spricht Bände.

Während der Diskurs über die Zukunft von Syriens Präsident Baschar al-Assad und der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) lange dominierten, drängen erst jetzt wichtige und seit langem bekannte Schauplätze in den Vordergrund: die destabilisierende Rolle der zahlreichen Konfliktparteien, die Finanzierungsmodelle von Terrororganisationen sowie die Strategien ihrer Financiers – und nicht zuletzt die historischen Wurzeln dieser geopolitischen Katastrophe, die das Resultat sukzessiver Fehler und Interventionen im Nahen Osten ist.

dsabharwal@tageblatt.lu

Was hierbei auffällt: Durch das Erstarken des IS hat sich die öffentliche Meinung dahingehend verändert, dass Syriens Schicksal nicht mehr als eine von einer einzigen Konfliktpartei abhängige Variable betrachtet wird. Vor der IS-Phase wurde die Darstellung des Bürgerkriegs oft auf den Kampf zwischen Assad und den „Rebellen“ reduziert. Es handelte sich um eine fatale Vereinfachung eines bereits früh multilateral ausgetragenen Konflikts. Lediglich das erste Jahr der Syrien-Krise könnte man unter Umständen als rein innersyrische Angelegenheit beschreiben. Allerdings wurde sehr schnell aus dem Bürger- ein internationaler Stellvertreterkrieg.

Sunniten und Schiiten trugen ihren Kampf auf den Schultern der Zivilbevölkerung Syriens aus. Die Golfstaaten und die Türkei taten alles, um Assad zu stürzen. Der Iran und Russland ließen ihrerseits nichts unversucht, ihn an der Macht zu halten und Syrien samt seiner korrupten Elite zu stabilisieren. Es wurden Waffen, Geld, Kämpfer, Drogen, logistische Hilfe und Geheimdienstinformationen geliefert. Zu den teils lokalen Aufständischen gesellten sich ehemalige Baath-Partei-Kämpfer – die Trennschärfe zwischen „Rebellen“, Terroristen und Milizen war nicht mehr gegeben. Dabei war die Rollenverteilung lange klar: An oberster Stelle standen in Kalter-Krieg-Logik die USA sowie ihre Alliierten versus Russland und seine Verbündeten. Auf der zweiten Ebene folgte der regionale Machtkampf zwischen dem schiitischen Iran und seinem sunnitischen Todfeind Saudi-Arabien. Die dritte Ebene galt all den lokalen Konfliktparteien wie den Kurden und weiteren nationalen Interessengruppen.

Diese Darstellung ist nicht mehr zeitgemäß. Eine einheitliche Friedensagenda für Syrien muss zweifellos zur Priorität für Washington und Moskau werden. Allerdings zeigen die teilweise chaotischen Bombardements der Anti-IS-Koalition und der russischen Seite, dass die Großen sich in einem Stellvertreterkonflikt befinden, in dem sie nur bedingt den Ton angeben.

Die USA und Russland haben lange – und zu Recht – keine Bodentruppen nach Syrien geschickt. Das überließ man den kriegerischen Stellvertretern. Keine Friedenskonferenz und kein Plan zur Befriedung einzelner Landesteile konnte folglich das Morden in Syrien stoppen: Dies, weil die Golf-Staaten und der Iran weiterhin Öl ins Feuer gießen. Sie treiben Moskau und Washington vor sich her. Gleichzeitig fährt die Türkei eine brandgefährliche, mehrgleisige Politik. Jeder spielt jeden aus.

Demnach sollte man den Syrien-Konflikt neu denken: Die klassischen „Top down“-Modelle, die nur Russland und die USA fokussieren, sind überlebt. Washington und Moskau sind auf den „good will“ in Riad und Teheran angewiesen, um den Konflikt zu entschärfen.