Unsere Städte und Dörfer sind sich anscheinend ihrer selbst überdrüssig geworden. Viele ihrer Bewohner mögen keine Obdachlosen, keine Bettler und Drogenabhängigen, keinen Müll und Dreck mehr sehen. Sie wollen nicht durch des Nachbarn Musik gestört werden, schlagen Alarm wegen des „Lärms“ von Autos, Bussen und sprechenden Passanten. Jeder, der „anders aussieht“, wird als potenzieller Verbrecher eingestuft. Fixer werden sogar als Kriminelle abgestempelt. „Man soll sie doch einfach nur wegtun!“
Politiker, Einzelhändler, Eventmanager und Firmen, die für ihre „hochkarätigen“ Führungskräfte ein attraktives Umfeld wünschen, haben „Sicherheit“ und „Sauberkeit“ (im weitesten Sinne des Wortes) längst als Thema und sogar – wie neuerdings gehört – als Standortfaktor entdeckt!
Das persönliche Sicherheitsgefühl des einzelnen Bürgers, seine Wahrnehmung und die der beruflich mit Sicherheit beschäftigten Personen bewegen sich auf getrennten Wegen. Der Bürger spricht von einer stark zunehmenden Kriminalität, von einer immer größer werdenden Bereitschaft zu Straftaten. Dabei sprechen die Statistiken eine andere Sprache.
In den Reihen der Ordnungshüter meint man, das Gerede von der zunehmenden Kriminalität sei ein Märchen, ein Mythos, ein soziales Konstrukt wie all unsere Vorstellungen von der Realität. Man spricht von modernen Legenden. Doch diese Legenden besitzen eine enorme Macht.
Null Toleranz
Das Unsicherheitsgefühl bei den Bürgern beruht laut Fachleuten nicht etwa auf eventuell erlebten Einbrüchen, Autodiebstählen, Überfällen oder Ähnlichem, nein, es gibt ganz andere Gründe: In „ihrer Straße“ wird zu schnell gefahren, vor „ihrer Haustür“ wird zu wild durcheinander geparkt, es befindet sich Müll und Unrat auf „ihrer“ Straße…
Das Motto „Null Toleranz“ macht zunehmend die Runde. Dazu gibt es doch Beispiele, wie etwa New York City in den neunziger Jahren. Die amerikanische Metropole hat es damals unter dem Slogan „Zero Tolerance“ – „Null Toleranz“ am besten verstanden, die Idee vom großen Überwachen und Aufräumen in den Städten international zu vermarkten. Aus der Innenstadt verbannt wurden Junkies, Penner und Prostituierte, und die schmutzigen Ecken und Schandflecken wurden beseitigt. Dahinter stand ein Präventionskonzept aus den 50er Jahren, die sogenannte „broken windows“-Theorie: Ist irgendwo ein Fenster eingeschlagen oder liegt Unrat herum, wirkt dies wie ein Magnet. Das kleine oberflächliche Vergehen, so die Überzeugung, zieht bald auch den noch nicht sichtbaren Rest des Bösen an. (Quelle: SWR2 Wissens-Beitrag)
Wenn wir nun heute – wir schreiben das Jahr 2010 – wiederum der Meinung sein sollten, die Entwicklung einer Stadt sei steuerbar, dann machen wir erneut die Fehler, die unsere Vorfahren bereits gemacht haben: Wir weisen weiter sogenannte Nutzungsbereiche aus, einen für das Gewerbe, einen anderen für das Wohnen, einen weiteren für Feste, einen zusätzlichen für den Sport, vielleicht noch einen für die restlichen Freizeitbeschäftigungen. Rund um den Nutzungsbereich „Wohnen“ errichten wir hohe Mauern, schaffen ein Hochsicherheitsviertel, in dem wir „Normalen“ uns nach Feierabend zurückziehen. Die Armen, die Penner und halt all die „Andersaussehenden und Andersdenkenden“ müssen draußen bleiben. Satelliten überwachen alles.
Ist es wirklich das, was wir wollen?
Wollen wir Überwachungskameras und private Sicherheitsdienste an allen Ecken und Enden? Wollen wir abgeschirmte Gettos? Wollen wir nur noch sterile Städte und Dörfer, ohne „störendes“ Kindergeschrei, ohne „lärmende“ Feste, ohne den „zu laut“ redenden Nachbarn, ohne die „lästigen und auf der Straße herumlungernden“ Jugendlichen, diese „Nichtsnutze“?
Was für Städte werden das noch sein?
Roger Infalt
[email protected]
De Maart
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