Was zwischen 11 und 17 Uhr passierte, weiß niemand. Die Frau erinnert sich, dass sie auf ihrer Bahre ständig auf irgendwelchen Gängen warten musste.
Vier Uhr in der Früh: Ein junger Mann kommt in die Notaufnahme, hat getrunken, wirkt sehr depressiv und wird nach einem kurzen Gespräch mit einer Frau in Weiß in die psychiatrische Abteilung überwiesen. Dort liegt er drei Tage lang, bevor er überhaupt einen Arzt zu Gesicht bekommt. In der Zwischenzeit hat er aber Bekanntschaft mit der chemischen Keule gemacht.
Der Spiegel-Redakteur Udo Ludwig regt in seinem Buch „Tatort Krankenhaus“ zu Diskussionen über Missstände in Krankenhäusern an und spricht vom enormen Zeit- und Spardruck, von Eitelkeit, Geldgier, Leichtsinn und daraus resultierenden, oft folgenschweren Behandlungsfehlern.
Menschlichkeit?
Früher sagte der Volksmund: „Gesundheit ist das höchste Gut.“ Heute muss man doch eher sagen: „Gesundheit ist eine Ware.“ Die durch die Arbeiterklasse in langen Auseinandersetzungen längst vergangener Zeiten errungenen gesundheitspolitischen Fortschritte wurden gerade in den letzten Jahren ständig dezimiert, so dass hektisches Pflegepersonal, das kaum noch Zeit für Patienten übrig hat, lange Wartezeiten auf Untersuchungen oder Ärzte, die so gut wie nie zu sprechen sind, schon fast zur alltäglichen Erfahrung der Kranken gehören.
Nicht der Arzt und sein Eid auf Hippokrates, sondern der Manager mit seiner Gewinn- und Verlust-Rechnung bestimmt seit geraumer Zeit das Handeln im Krankenhaus. Dies färbt langsam, aber sicher auch auf die Arztpraxen ab. Die „Fünf-Minuten-Behandlung“ ist in Mode. Keine Zeit mehr für Gespräche, keine Zeit mehr für Antworten auf Fragen der Patienten, keine Zeit, keine Zeit … Ein kurzer Händedruck, wenn überhaupt, begleitet vom Satz: „Ihr Rezept können Sie bei der Sekretärin abholen.“
Als unbestrittene Tatsache gilt, dass durch die Fortschritte in der Medizin immer mehr Menschen gerettet werden können, die noch bis vor gar nicht allzu langer Zeit als „unheilbar“ oder „aussichtslose Fälle“ galten. Doch wo ist die Menschlichkeit, sprich der Mensch, in der heutigen Medizin geblieben? Können wir heute noch von „Häusern der Gesundheit“, von „Krankenhäusern“ reden, oder sollten wir eher das Wort „Reparaturbetrieb“ gebrauchen? Eingriff, „blutige Entlassung“, ambulante Nachbehandlung. Dass sich hier zudem ein Tor für weitere gesundheitliche Schädigungen öffnet, kann wohl kaum bestritten werden.
Keine Zeit für Menschlichkeit!? Dabei weiß jeder, dass ein Patient, der sich als Mensch mit Körper, Seele und Geist wahrgenommen fühlt, bereits auf dem Weg der Besserung ist.
Roger Infalt
[email protected]
De Maart
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