Das andere Bild

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(Tageblatt)

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Tiefes Durchatmen bei den Erwachsenen, große Kinderaugen, die die neuen Menschen um sie herum und die Umgebung, ihr neues „Zuhause“ beäugen, Umarmungen, Herzlichkeit, Freundlichkeit.

Über das bisher Erlebte zu reden, fällt schwer. Aufsteigende Tränen lassen die Stimme nach einem oder zwei Sätzen versagen.Die Ankunft von 42 Flüchtlingen vorgestern in Weilerbach muss für sie eine Erlösung gewesen sein. Nach Wochen und Monaten der Flucht, nach Elend und Leid und völliger Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal, werden sie nun vorerst einmal Ruhe finden. „Können unsere Kinder hier zur Schule gehen?“, war eine der ersten Fragen, die vorgestern von einer Mutter an Ministerin Corinne Cahen gerichtet wurde. Sie können. Und das in einem Land, das manche der Ankommenden noch nicht einmal kannten, als sie sich entschlossen, ihre kriegsverwüstete Heimat zu verlassen. Und vielleicht noch nicht einmal, als sie in Heidelberg in einen Luxemburger Bus stiegen, der sie hierher brachte. Ihre Kinder waren für fast alle der entscheidende Grund zur Flucht. Bei uns wollen sie jetzt damit beginnen, ihnen eine Zukunft zu bieten. Und das ausgerechnet in einem Land, in dem einige sich überzeugt davon zeigen, dass eben die Ankunft von Flüchtlingen der Anfang vom Ende der Zukunft der Luxemburger ist. Dass Luxemburg seine Identität und Werte verlieren wird, dass alle unsere Arbeitsplätze irgendwann nur mehr von Nicht-Luxemburgern besetzt werden und die armen Luxemburger im eigenen Land als Minderheit alle angestammten Rechte verlieren werden. Wobei eben diese Leute nicht einmal wahrnehmen, dass sie selber es sind, die dafür sorgen, dass unsere Werte an Gewicht verlieren könnten.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Wer aus Angst vor Fremden und aus Biederkeit, aus festen vier Wänden heraus, eingeengt in Raum und Geist, anonym gegen Menschen agiert, denen er sich nicht einmal traut, offen in die Augen zu schauen, ihnen aber das Recht auf Freiheit, Menschlichkeit, Glück und Zukunft verwehren will, der trägt selbst dazu bei, ein Bild von Luxemburg zu zeichnen, von dem man sich nicht wünscht, dass es zurückbehalten wird.

Zu hoffen bleibt, dass die vorgestern angekommenen Kinder, und nicht nur sie, nie dieses, sondern ein anderes Bild des Landes kennenlernen: Dass Luxemburg seit jeher ein Ein- und Auswanderungsland ist. Dass wir ganze Generationen an Gastarbeitern integriert haben. Dass im letzten Weltkrieg zahlreiche Luxemburger ihr Leben verloren, weil sie im Namen der Freiheit den Nazis die Stirn boten oder in Gefängnissen landeten, weil sie anderen halfen. Dass viele Luxemburger zur gleichen Zeit aus ihrer Heimat flüchten mussten. Dass wir Gründungsmitglied der EU sind, weil wir zu den sechs größten Stahlproduzenten gehörten. Ein Land mit einer absoluten Rekordzahl an Ausländern. Weil wir tatkräftig seit Jahrzehnten mehr Arbeitsplätze schaffen, als von hier lebenden Menschen besetzt werden können. Ein Land der Mehrsprachigkeit, das zwischen Kulturen wandert. Ein Land der Offenheit, der Freiheit, der Toleranz und der freien Meinungsäußerung. Luxemburg kann durchaus erhobenen Hauptes auf seinen bisherigen Werdegang verweisen. Angst, Feigheit und Hetze hatten hier wenig Platz. Mut, Großzügigkeit und Herz schon. Flüchtlinge sind da willkommen. Es zeigt mehr, dieses andere Bild.