Corbyn, der Leibhaftige

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Kommende Woche wählen die Labour-Militanten einen neuen Parteichef. Labour, jene britische Partei, der die Welt und die Sozialdemokratie Tony Blair zu verdanken haben.

Jenen Blair, dessen Memoiren wohl am besten den Titel „Die Sozialdemokratie schafft sich ab“ getragen hätten.
Jener Mann, der zurzeit in der Gunst der Labour-Anhänger in Front liegt, ist der Gegenentwurf zu Bushs Pudel: Jeremy Corbyn ist – horribile dictu – ein überzeugter und praktizierender Linker und somit für die Anhänger von New Labour der Fleisch gewordene Gottseibeiuns, dessen Kandidatur bei den nächsten „General Elections“ die Partei der Arbeit im politischen Orkus zu versenken droht und Großbritannien für die nächsten paar Generationen unter die Knute einer Tory-Einparteiendiktatur zwingen wird.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Die als Linke getarnten Neoliberalen von New Labour werden beim Gedanken, dass aus Labour wieder das werden könnte, was es einst mit Stolz war – nämlich eine klar auf der Linken verankerte Partei, die für die Rechte und Interessen der Arbeitenden eintritt –, von Panikattacken und Weltuntergangsvisionen geschüttelt.

Der Kampf um Labour wirft indes eine grundsätzliche Frage auf, die weit über Großbritannien hinausreicht: Wer braucht überhaupt Sozialdemokraten, die von dieser Bewegung lediglich den Namen behalten haben, ansonsten aber ihren ganzen Stolz darin legen, den Neoliberalen beim Rückbau jener sozialen Errungenschaften, die ihre Vorgänger seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, besonders aber während der „trente glorieuses“ sauer erkämpft haben, nach Kräften zur Hand zu gehen?

Blair und seinen Weggefährten muss man vor allem den Vorwurf machen, dass sie entscheidend dazu beigetragen haben, in den Köpfen der Menschen die Idee zu verankern, dass sozialer Fortschritt schlecht für die Arbeitnehmer ist und es vielmehr das segensreiche Walten der freien – lediglich mit einer Prise Sozialbrimborium auf menschenfreundlich geschminkten – Märkte ist, das auf Dauer Wohlstand für die Massen zu garantieren imstande ist.
Sozialdemokraten wurden so Erfüllungsgehilfen von Thatchers ideologischem Mantra „there is no alternative“ (TINA), nämlich keine Alternative zum Sozialabbau und zum gottähnlichen Walten der „Unsichtbaren Hand“. Als Sozialisten getarnte Neoliberale tragen entscheidend dazu bei, die kulturelle Hegemonie der neoliberalen Pensée unique durchzusetzen und einzubetonieren.

Dabei ist die Vertretung eines wirtschaftsliberalen Standpunkts an sich ja nun beileibe nichts Unehrenhaftes: Nur sollte man offen Farbe bekennen und eine derartige Politik im Rahmen einer dementsprechend orientierten Partei verfechten.
Corbyn zeigt als überzeugter Linker, dass systematischer Sozialabbau mitnichten eine Fatalität sein muss. Sollte er sich durchsetzen, würde eine seiner wichtigsten Aufgaben darin bestehen, dem neoliberalen Spuk in der britischen Partei der Arbeit endlich den Garaus zu machen.