Freitag26. Dezember 2025

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Vom Nationalepos bis zum Erotik-StreifenWie die Nibelungensage in der Kinogeschichte behandelt wurde (Teil 1)

Vom Nationalepos bis zum Erotik-Streifen / Wie die Nibelungensage in der Kinogeschichte behandelt wurde (Teil 1)
Szene aus dem Film „Hagen – Im Tal der Nibelungen“  Foto: Constantin Film Verleih/DPA

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Mit „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ ist eine neue Verfilmung des mittelalterlichen Heldenepos des Nibelungenlieds in den Kinos gestartet. Lange galt das umfangreiche Werk als das Nationalepos der Deutschen und wurde unter verschiedensten Varianten in unterschiedlichen historischen Kontexten interpretiert. Die erste Ausgabe einer zweiteiligen Übersicht.

Das mittelhochdeutsche Heldenlied der Nibelungen, das um 1200 entstanden ist, ist ein deutscher Fantasy-Mythos, der um Liebe und Tod, um Treue, Verrat und Rache kreist. Die Heldensage erzählt von dem Volk der Nibelungen, dem Helden Siegfried, der durch das Bad im Drachenblut unverwundbar wurde, von seiner Liebe zu Kriemhild, der Tochter der Wormser Herrscher, und Brünhild, der Königin aus dem hohen Norden. Weiter handelt die Sage von der Rache Kriemhilds an den Burghunden durch die Heirat mit dem Hunnen-König Etzel, von dem Schatz der Nibelungen, der irgendwo im Rhein versank, durch die Hand Hagens, die auch Siegfried durch einen hinterhältigen Speerstoß in die Schulter tötete.

Die Heldendichtung galt lange Zeit als das Nationalepos der Deutschen und Siegfried als Nationalheld. Diese schicksalsschwere Großerzählung ist eine literarische Verdichtung, die sich in einen realhistorischen mittelalterlichen Kontext zwischen Völkerwanderung und der Auslöschung eines deutschen Adelshauses, der Burgunden, fügt. Dieser Urtext hat im Laufe der Zeit viele künstlerische Weiterverarbeitungen erfahren, darunter eine große Anzahl an literarischen Neubetrachtungen sowie beachtliche Vertonungen, etwa Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, und bisher sechs Verfilmungen, von denen Fritz Langs Stummfilm-Klassiker zwar nicht die erste filmische Aneignung ist, aber sicherlich die bis heute filmhistorisch bedeutsamste.

Das Stummfilm-Monument

Für diese herausragende Stellung gibt es freilich gute Gründe: Fritz Lang galt damals schon vielen als das Wunderkind des deutschen Films. Mit „Der müde Tod“ (1921) oder „Dr. Mabuse – der Spieler“ (1922), nach einem Roman des Luxemburger Schriftstellers Norbert Jacques, war er in aller Munde, die große Karriere stand ihm in Aussicht. Das literarische Epos sollte sein nächstes Projekt werden, das die UFA als Zweiteiler anlegte: „Siegfrieds Tod“ und „Kriemhilds Rache“. Zwar gab es, noch bevor Langs Film in Entwicklung ging, zur Zeit der italienischen Monumentalfilme der Stummfilmzeit einen etwa zehnminütigen Kurzfilm „I Nibelunghi“, unter der Regie von Mario Bernacchi, der aber mehr ein Fragment als ein filmhistorisches Ereignis war.

Auszug aus Fritz Langs „Siegfrieds Tod“ (1924)
Auszug aus Fritz Langs „Siegfrieds Tod“ (1924) Foto: Archives du 7e Art/Decla-Bioscop

Nicht so bei Fritz Lang: Der damals 32-jährige österreichische Regisseur, der mit der Autorin Thea von Harbou verheiratet war, verfasste mit ihr das Drehbuch für diesen acht Millionen Mark teuren Film, der die deutsche Gründungsmythologie in bewegte Bilder fassen sollte: mit schauspielerisch großen Momenten, mit einer beeindruckenden Tricktechnik. Noch nie zuvor hatte man einen feuerspeienden, zwanzig Meter langen Drachen in Bewegtbildern gesehen. Und dann gibt es Siegfrieds Verwandlungsszenen und den Falkentraum Kriemhilds. Aus diesen Bildern spricht der dezidierte und ambitionierte Kunstanspruch, den Lang immerzu anstrebte. Er spiegelt sich besonders in den prachtvollen Kostümen und imposanten Bauten wider, wobei das Kostüm- und Bühnenbild augenfällig an die Illustrationen von Carl Otto Czeschka zu einer bekannten Nibelungenlied-Ausgabe von 1920 angelehnt sind und Elemente des Jugendstils mit denen des Art déco verbindet.

In zweimal sieben Gesängen erzählt der Film die bekannte fatalistische Geschichte, beginnend mit dem Aufbruch Siegfrieds aus Mimes Schmiede bis zum Tod von Gunther, Hagen und Kriemhild. Am Ende steht nur noch die Katastrophe, einzig König Etzel überlebt. In keinem anderen Werk von Fritz Lang ist die Idee des Schicksalhaften stärker präsent als in „Die Nibelungen“ – dies liegt allein schon in dem Umstand begründet, dass dieser Film Langs Exkursion in wahrhaftig mythologische Stoffe ist, aber es ist erst die virtuose Montage-Technik, die diese wirklich spürbar macht: Sogar das Fallen eines Blattes, ein natürlicher Vorgang, ist hier bedeutungsschwer aufgeladen, da es Siegfrieds Schicksal besiegeln wird. Dass dieser Film um Bluttreue, Liebe, Verrat, Schuld und Rache dem nationalsozialistischen Propagandaminister Joseph Goebbels besonders gefiel, ist hinlänglich bekannt. Er gedachte, aus Fritz Lang den führenden Filmemacher des Dritten Reiches zu machen. Dieser lehnte ab und suchte das Exil in Amerika. Obwohl der Sagenstoff unter dem Naziregime in Deutschland politisch missbraucht und instrumentalisiert wurde, gab es indes keine Aneignung des Nibelungenlieds durch den Film in der NS-Zeit.

Zu den weniger bekannten und kurioseren Filmbeispielen zählt sicherlich auch „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ – ein Sexfilm aus dem Jahr 1971 von Adrian Hoven mit Raimund Harmstorf in der Hauptrolle, der sich der Motivik des Abenteuergehalts allenfalls nur äußerlich annimmt

Erst 1957 folgte eine neue Anverwandlung, es war diesmal wieder eine italienische Version unter dem Titel „Sigfrido“ von Giacomo Gentilomo, die heute weitgehend vergessen ist. Zu den weniger bekannten und kurioseren Filmbeispielen zählt sicherlich auch „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ – ein Sexfilm aus dem Jahr 1971 von Adrian Hoven mit Raimund Harmstorf in der Hauptrolle, der sich der Motivik des Abenteuergehalts allenfalls nur äußerlich annimmt. Hier geht es mehr um die Potenz Siegfrieds in diversen erotischen Abenteuern als um die getreue Adaption der Abenteuer aus der literarischen Vorlage.

Auch wurde 1971 in der DDR der Versuch unternommen, eine ostdeutsche Variante der Nibelungen für den Film umzusetzen. Der Schriftsteller Franz Fühmann hatte die Nibelungensage bereits zuvor in Form eines Kinderromans aufbereitet und entwickelte eine Idee für einen Spielfilm mit dem Titel „Der Nibelunge Not“. Als Regisseur war Heiner Carow im Gespräch, doch die DEFA lehnte das Projekt schlussendlich ab. Nur noch in Romanform ist dieser Versuch einer ostdeutschen Aneignung heute überliefert. Es war dies wohl auch der Versuch, auf den westdeutschen Unterhaltungsfilm „Die Nibelungen“ zu reagieren.

Dieser Film unter der Regie von Harald Reinl gliedert sich erneut in zwei Teile: Der erste Teil „Siegfried von Xanten“ wurde 1966 in Berlin uraufgeführt, das Folgewerk erschien 1967 in München. Den auffälligen Kunstcharakter von Fritz Langs Film strebte diese Version nicht an: Reinl ging es vielmehr um den Unterhaltungswert des Materials – dennoch schnitt er das Epos entsprechend auf seine dramatischen Höhepunkte zu und ähnelt Langs Film in der Handlungsführung doch sehr: Da gibt es auch Siegfrieds Kampf mit dem Drachen, die Brautwerbung der Brunhilde in Island, die Ermordung Siegfrieds. Auffallend ist aber insbesondere die Darstellung des Hunnenkönigs, der hier als überaus weltgewandt und besonnen in Erscheinung tritt. Er ist ein Träumer, der die östliche und westliche Welt vereinen möchte. Sein pazifistischer Anspruch mündet indes in die finale Katastrophe. Diese deutliche Fokussierung auf eine oppositionelle Weltsicht aus westlich-christlicher und östlich-„heidnischer“ Perspektive kann auch als ein Spiegel der damaligen weltpolitischen Lage im Kalten Krieg verstanden werden – es ist eine zweigeteilte Welt in Ost und West. Sie ist in allen Fällen eine deutliche Umdeutung von Langs Version, in der Ehre, Treue oder Ruhm noch positiv aufgeladen waren, hier indes – im Kontext der Nachkriegszeit – infrage gestellt werden.

Heute gilt Langs Film im besten Sinne des Wortes als „historisch“. Seine viragierten Bilder, die Zwischentexttafeln, die zum Erlebnis des Stummfilms gehören, wirken veraltet, ja, der Film scheint mit heutigen Sehgewohnheiten nur noch schwer vereinbar zu sein. Reinls Film ist dahingegen aus heutiger Sicht einem Publikum viel zugänglicher; sein dedizierter Versuch, sein Publikum mit den Mitteln des Films zu vereinnahmen, ist unverkennbar. Langs filmischer Schatten reichte indes weit: Mehrere Jahrzehnte hinweg versuchten Filmemacher das Material neu auszulegen, manchmal als direkte Abkehr von Langs Stummfilm-Monument, manchmal als Huldigung an dieses. Es sollte bis zur Jahrtausendwende dauern, bis der Stoff durch den Fantasy-Aspekt der Erzählung unter dem Zeichen neuer technologischer Möglichkeiten wiederentdeckt wurde.

Die Nibelungen

Der zweite Teil folgt am Samstag, dem 26. Oktober. Der Film „Hagen – im Tal der Nibelungen“ läuft in Luxemburg u.a. im Kinepolis Kirchberg und Kinepolis Belval.