KinoVon Gummireifen, Lederjacken und übergroßen Fliegen: Die absurd-surrealistischen Welten des Quentin Dupieux

Kino / Von Gummireifen, Lederjacken und übergroßen Fliegen: Die absurd-surrealistischen Welten des Quentin Dupieux
Quentin Dupieux im September 2023 in Venedig Foto: AFP

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Da, wo die Irritation in all ihren grotesk-absurden Ausschweifungen mit dem reinen Amüsement am derben Klamauk Hand in Hand geht, da ist Quentin Dupieux’ Kino ganz bei sich. Mit „Daaaaaalí!“ ist das Enfant terrible des gegenwärtigen französischen Kinos wieder auf der Leinwand.

Gleich zu Beginn von „Rubber“ (2010) eröffnet ein Polizist mitten in der kalifornischen Wüste einen kleinen Diskurs über die Grundlosigkeit als wirksamstes Stilmittel der Filmkunst. Dass damit das künstlerische Programm dieses Films vorweggenommen wurde, ist am Ende von „Rubber“ augenscheinlich. Erahnen konnte man allerdings nicht, mit welch unnachgiebiger Konsequenz der 49-jährige französische Filmemacher Quentin Dupieux dieses absurd-surreale Irritationsmoment zu seinem Schaffensprinzip gemacht hat. 

Dupieux ist eine Ausnahmeerscheinung im zeitgenössischen Kino – so grotesk und verwirrend, wie sich manche seiner Filmkomödien auch präsentieren, sie lassen sich in allen Fällen auf eine Reihe an konstanten Grundmustern zurückführen: Da gibt es zum einen die „leeren“ Spannungskurven. Je mehr Dupieux’ Filmhandlungen an Dramatik zunehmen, desto weniger erschließen sie sich dem Publikum. Der Erkenntnisgewinn steht somit in keiner Weise in Relation zu dem filmisch Gezeigten. Die dramaturgische Willkür, mit der Dupieux operiert, ist der unbedingten Unterdrückung einer rationalen Herleitung des Gezeigten verpflichtet, es ist die surrealistische Basistechnik, aus der Dupieux’ Filme ihren besonderen Reiz beziehen. Das meint auch: Mit einer fixen, auf ein filmtextuelles Grundwissen gestützte Vorkenntnis, ist Dupieux’ Filmen nicht beizukommen. Sie setzen demnach eine entsprechende Grundhaltung voraus, der nach die Unvoreingenommenheit auch im Wesentlichen den Wiederanschauwert seiner Filmwelten ausmacht.

Undurchsichtigkeit und Geistesblitze

Diese Undurchsichtigkeit liegt allein schon darin begründet, dass man die Ausgangsidee der Handlung mit nur wenigen Worten fassen kann, dem Prinzip des „High-Concept“-Films nicht unähnlich – in Abgrenzung zu diesem birgt sie aber auch den Überfluss an Handlungsmöglichkeiten im Erzählverlauf in sich. Ein abgenutzter Lkw-Reifen vermag durch pure Willenskraft Dinge, meistens Köpfe, zum Explodieren zu bringen – so präsentiert sich der Ausgangspunkt von „Rubber“. Genretechnisch gesehen handelt es sich dabei um einen Thriller, inhaltlich prägen Verbrechen und Aufklärung die Erzählung, narrativ strukturiert ist der Film entlang der Elemente des Roadmovies, doch die anschließende Odyssee des Reifens ist in seiner skurril-blutigen Steigerung überhaupt nicht abschätzbar – entsprechend unmittelbar einsetzende Schockmomente sind dabei Quell der Komik.

Diese Undurchsichtigkeit kommt bei Dupieux mit einer Unvorhersehbarkeit, die es dem Publikum unmöglich macht, Handlungsverläufe vorwegzunehmen. „Le daim“ erzählt von einem Mann, Georges (Jean Dujardin), der so verliebt ist in seine Hirschlederjacke, dass er dafür Morde begeht, sie sogar mit einer Videokamera aufzeichnet. Wo seine Obsession für das Kleidungsstück immer bizarrere Züge annimmt, da mag man ein ernsthaftes Psychogramm eines gestörten Menschen erwarten. 2019 erschienen, war dieser Film auch in der realistischen Ausstattung und dem metareflexiven Charakter, ein Stilbruch gegenüber früheren Filmen des Regie-Autodidakten, doch der Irrwitz der Handlung befeuert sich selbst, immer mehr spitzt Dupieux diese schwarzhumorig weiter zu, bis daraus einer der womöglich skurrilsten Serienmörderfilme wird – die Erwartungen des Publikums beständig unterlaufend.

2020 folgte „Mandibules“, ein Film über zwei einfältige Freunde, die nur so in den Tag leben – ohne Ziel, ohne Plan. Da kommt plötzlich eine übergroße Fliege in ihr Leben, beziehungsweise ist sie einfach nur da. Die beiden Gelegenheitsgauner entdecken sie im Kofferraum eines Wagens, den sie kurzerhand für einen gewinnversprechenden Auftrag gestohlenen haben. Nun versuchen sie, die Fliege auf Banküberfälle zu dressieren, um so zum großen Geld zu kommen. Neben all den Albernheiten, die Dupieux bereithält, ist „Mandibules“, wie „Le daim“ auch, ein Film über menschliche Obsession und Enthaltsamkeit. Der Clou der Filmhandlung offenbart sich nämlich erst am Ende: Als die beiden Freunde bereit sind, die Fliege freizulassen, weil all ihre Bemühungen umsonst schienen, kehrt sie plötzlich zurück. Die Suche nach dem Sinn der Erzählung scheint ebenso aberwitzig wie die urkomischen Einlagen, die der Film bereithält. Und doch: Je formvollendeter Dupieux’ Filme angelegt sind, desto mehr bieten sie Öffnungen für die Interpretation.

Weniger in Erinnerung bleiben dürfte deshalb „Fumer fait tousser“ (2022) – episodisch angelegt, funktioniert der Film mehr über einzelne sketchhafte Segmente: Eine Gruppe von Superhelden erzählt sich während eines Urlaubs zur stärkeren Teambildung am Lagerfeuer merkwürdige Geschichten. Weniger als ein Gesamtwerk präsentiert sich auch „Incroyable mais vrai“ (2022), der von einer Familie und den übernatürlichen Gesetzmäßigkeiten eines Hauses erzählt. Beide Filme sind durchzogen von den Geistesblitzen Dupieux’ – ein Konzept, das mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Hier fehlte es Dupieux an Rundung.

Die Hommage an den Surrealismus

Dass aus der fiktionalen und absurd-überhöhten Filmbiografie des Meisters des Surrealismus, Salvador Dalí, gleichermaßen eine Hommage und eine Dekonstruktion geworden ist, dürfte nicht weiter verwundern. Das „No reason“, das „grand n’importe quoi“, das der Sheriff am Anfang von „Rubber“ darlegte, ist nun dadurch noch einmal verstärkt und abgerundet, dass es das Wesen dieser Hommage an Salvador Dalí ausmacht. Der handlungsbindende rote Faden der journalistischen Reportage über den Maler des Surrealismus strukturiert diesen Film nur lose, weniger huldigt Dupieux dem Künstler über das Lebenswerk an sich – in dieser Hinsicht ist der Film narrativ viel zu schwach angelegt –, sondern vielmehr über dessen Stil. Das ist mit Blick auf das Schaffen Dupieux’ nur folgerichtig, der Effekt ist indes doppelt: Mit „Daaaaaalí!“ inszeniert sich der Franzose als demütiger Schüler, der dem Maler die Reverenz erweist, ferner aber auch als dessen würdigster Nachfahre, als derjenige, der es vermag, den Surrealismus in das gegenwärtige Kino zu überführen. Egal wie man sich dem neuen Film von Dupieux annähern mag: Die Wirksamkeit des Films liegt in der spürbaren spitzbübischen Lust, mit der er diese bescheuert-überraschenden Einfälle präsentiert, sie sind es, die das Ganze zusammenhalten – an die Stelle von Stringenz tritt Kontingenz, ein diffuses Aneinander und Miteinander von Szenen, die sich in sich nicht nachvollziehbar gestalten, ebendieses Moment macht den surrealistischen Traumcharakter von „Daaaaaalí!“ aus.

So unbefriedigend Dupieux’ Filme auf erkenntnistheoretischer Ebene auch sind, so überaus aufregend und sonderbar sind sie auf der reinen Wahrnehmungsoberfläche. Sie vermögen es ebenso sehr ratlose, ja verärgerte Frustration auszulösen als auch Begeisterung angesichts der unerschöpflichen Belanglosigkeit, mit der Dupieux sein Publikum konfrontiert. Man kann sich daher nur immerzu wundern, woher dieser Mann seine absurd-verdrehten Ideen hat.