KinoVon Essstörungen zu Gedankenspielen: „Club Zero“ und „Hit Man“

Kino / Von Essstörungen zu Gedankenspielen: „Club Zero“ und „Hit Man“
Ein Dozent mit dubiosem Nebenjob: Gary Johnson (Glenn Powell) in „Hit Man“ Foto: Matt Lankes/Netflix

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Während sich in „Club Zero“ junge Menschen der Enthaltsamkeit verschreiben, begibt sich in „Hit Man“ ein Dozent auf Abwege. Beide Filme im Überblick.

„Club Zero“: Du bist, was du (nicht) isst

Sind einer eigenartigen Lebensphilosophie verfallen: Mitglieder des „Club Zero“
Sind einer eigenartigen Lebensphilosophie verfallen: Mitglieder des „Club Zero“ Quelle: imdb.com

Es gibt Filme, die sind einer veristischen Tendenz verpflichtet, sie sind die Fensterscheibe, durch die wir einen Eindruck der Wirklichkeit erhalten sollen. Dann gibt es Filme, die sich wie Fensterrahmen verhalten, die ihre eigene mediale Künstlichkeit ausstellen und mit reflektieren. Jessica Hausners neuer Film „Club Zero“ ist ein solch hochgradig artifizieller Film, der seine eigene Künstlichkeit mit dem Verweis auf ein an der Wand hängendes Gemälde mit verschnörkeltem Rahmen augenfällig mitführt. Die österreichische Filmemacherin widmet sich in ihrem neuen Werk besonders dem Thema der Essstörungen, weitet es aber im Laufe dieser hochgradig irritierenden Erzählung besonders auf Themenfelder der Sektenbildung und der Indoktrination aus.

In ihren vorherigen Filmen wie „Hotel“ (2004) oder „Lourdes“ (2009) setzte sich Hausner bereits spitz mit Fragestellungen zu einer repressiven Gesellschaft und zu einer starren Religionsausübung auseinander. Hier nun geht sie offen satirisch gegen die Selbstoptimierungsfantasien einer modernen, anti-konsumeristischen Gesellschaft vor: Die neue Lehrerin, Miss Novak, soll an einer englischen Eliteschule eine neue erzieherische Methode einführen, die einen Selbstreinigungsprozess des Körpers stimulieren soll. Mia Wasikowska gibt diese Miss Novak mit einer Mischung aus schüchterner Zurückhaltung und selbstsicherer Entschlossenheit, dabei hält der Film bewusst seine Distanz zu ihr.

Bis zum Totalfasten

„Conscious Eating“ nennt sich ihr revolutionärer Ernährungsplan, der die Schülerschaft zu gesünderem, enthaltsamerem und bewussterem Essverhalten anregen soll. Damit ist nicht nur eine gewöhnliche Diät gemeint, es ist eine Lebensdoktrin, die nahezu alle Bereiche des Lebens umfassen soll. Nicht nur geht es darum, bewusster zu essen, es geht auch darum, weniger zu essen, bis zum Totalfasten. Schüler werden hier zu uniformierten treuen Systemanhängern geformt, nicht zu selbst denkenden Mitgliedern einer kritischen und gegenwartsbezogenen Gesellschaft.

Hausners Film spitzt zu, Nuancen und Zwischentöne vermeidet er überwiegend, er stört und ist in seinen treffsichersten Momenten hochgradig verstörend. Dass diese unverhohlen satirische und bissige Darstellung in Kreisen der Ernährungsberatung und darüber hinaus für Empörung sorgen wird, scheint unvermeidbar, Hausner platziert ihren Film ganz bewusst an dieser konfliktbeladenen und umstrittenen Schnittstelle. Denn mithin greifen Miss Novaks dubiose Lehrpraktiken immer weiter, die Schüler leisten blinden Gehorsam, befolgen die vorgelebte Doktrin aufs Äußerste, bis sie selbst Mitglieder im „Club Zero“ werden – einer Kommune der reinen Enthaltsamkeit, der Nichtigkeit, in dieser vollends aufzugehen, das ist das erklärte Ziel, bis man sich im reinen Spiritismus seiner eigenen Körperlichkeit entledigt hat.

Seinen irritierenden Effekt gewinnt die österreichische Regisseurin aber mehr noch über die reine Künstlichkeit der Erscheinung. Hausners Formsprache ist äußerst unterkühlt, sie wählt bizarre Aufnahmewinkel, die tief in einen Raum blicken lassen, nur selten aber öffnet sich dieser Kamerablick für einen etwas weiteren Bildausschnitt. Man kennt diese höchst verstörende Inszenierungsweise, seltsam fühlt man sich an Stanley Kubrick, an Rainer Werner Fassbinder, ja noch an den österreichischen Kollegen Michael Haneke erinnert. Nichts in diesem Film setzt natürlich ein, nicht die Dialoge, die auf eine brechtsche Verfremdungstechnik aus sind – die Sprechweise ist höchst antitheatralisch –, nicht das Bespielen dieser kalt-sterilen Interieurs, noch nicht einmal die bildsprachliche Dynamik: Hausner verzichtet gänzlich auf Kamerafahrten, die einzige Bewegung, die sie simuliert, passiert mittels Zoom, eine rein artifiziell generierte Scheinbewegung, die auf dem Effekt der Dehnung oder der Stauchung des Raums basiert. Alles ist starr und erstarrt in „Club Zero“. Jessica Hausner setzt mit dieser formalen Strenge die Widersprüchlichkeiten der modernen Gesellschaft auf die Oberfläche des Gezeigten.

Zu sehen im Kinepolis Belval und im Ciné Utopia

„Hit Man“: Mörderische Gedankenspiele

Madison Masters (Adria Arjona, links) und der „Hit Man“ (Glenn Powell, rechts)
Madison Masters (Adria Arjona, links) und der „Hit Man“ (Glenn Powell, rechts) Quelle: imdb.com/Netflix

Es gibt einen Grund, warum wir in der Titelsequenz eines jeden James-Bond-Films zuerst nur die Silhouette dieses Mannes sehen, bevor der Schuss fällt und sich das Bild ganz blutrot färbt: James Bond ist eine reine Projektionsfläche – man träumt sich in ihn hinein, man durchlebt furiose Abenteuer an exotischen Schauplätzen. Richard Linklater greift diese Idee in seinem neuen Film „Hit Man“, der nur sehr lose auf einer realen Begebenheit beruht, sehr direkt auf, macht daraus die Basis seiner komödiantischen und wendungsreichen Erzählung: Darin begleiten wir den Philosophie- und Psychologie-Dozenten Gary Johnson (Glenn Powell), der sich ein kleines Nebengehalt als Lockvogel für die Polizei von New Orleans dazuverdient: Getarnt als Auftragskiller, nimmt er seinen „Opfern“ ein vorläufiges Schuldeingeständnis ab, zeichnet den geplanten Auftrag auf Tonband auf, ohne dass dabei ein Mord tatsächlich stattgefunden hat – eine ganz vorbeugende Maßnahme. Als aber die unscheinbare und reizvolle Madison Masters (Adria Arjona) ihn bittet, ihren Ehemann umzubringen, verwischen für Gary die Grenzen zwischen seinem Ich und seinen Masken.

Der Regisseur Richard Linklater, bekannt für die „Before Sunset“-Trilogie (1995, 2004, 2013) und „Boyhood“ (2014), bewegt sich mit „Hit Man“ nun fernab der Liebesdramen oder der Coming-of-Age-Geschichten. „Hit Man“ ist rein äußerlich eine Krimi-Komödie, die den Krimi-Anteil bewusst durch eine kurzweilige philosophische Abhandlung über Identität und Projektionsfläche überwiegend ersetzt. Wir sehen da, wie ein einfacher Normalbürger sich in der eigenen Wunschfantasie verliert, wie er die Nähe zur Gefahr, den Tötungstrieb und die absolute Anonymität rein gedanklich aufnimmt und in seinen ganzen Habitus miteinfließen lässt. Schauspieler Glenn Powell geht dabei minutiös einer gedoppelten Strategie nach, für seine jeweiligen Auftraggeber passt Gary nämlich die Killerpersona an, verkleidet sich, entwirft fiktionale Hintergrundbiografien, übernimmt spezifische Akzente, um die Klienten maßgeschneidert in die Falle laufen zu lassen.

Maskenspiel

Mit Madison Masters aber hat er ein Gegenüber auf Augenhöhe gefunden, er findet Gefallen an ihr, sie werden zunehmend zu „partners in crime“ – eine Kettenreaktion aus Täuschung, Vertuschung und Zufall wird da freigesetzt, aus der Linklater das komödiantische Potenzial seiner kriminalistischen Verwechslungsgeschichte bezieht. Gerade der für Madison entworfene Ron, ein charismatischer Typ, lässt Gary nicht mehr los. Er lebt da plötzlich einen Traum der unbegrenzten Möglichkeiten, er wird ein anderer, überschreitet die Grenzen der eigenen Person – und fühlt sich viel lebendiger, je näher er der Gefahr und der Aufregung ist.

Dieses Täuschungsspiel, das die Aussicht auf ein erfüllteres, aufregenderes Leben bietet, hat Linklater bereits mit seiner Musikkomödie „School of Rock“ (2006) eindrücklich betrieben – da war es der mittellose Rockmusiker (Jack Black), der sich als Musiklehrer an einer Elite-Schulte ausgibt, um den Rock ’n’ Roll als Gegenbewegung gegen die Spießer und Neider ins Feld zu führen, die ihn eingestellt haben, nur um so obendrein die Herzen seiner Schüler zu gewinnen. Ein neuer Identitätsrausch beflügelt ihn so sehr, dass er ganz in seiner neuen Rolle aufgeht und sein früheres Leben lieber hinter sich lassen würde. Da wie hier indes steht die moralisch fragwürdige Botschaft, dass man nur entschlossen genug an der eigenen Scheinexistenz festhalten muss, damit der Erfolg sich einstellt und sich alles fügt.

Linklater mag es sichtlich, sein Publikum mit entsprechenden provokativen Gedankenspielereien herauszufordern. Das irritierende Moment des Films liegt ja bezeichnenderweise darin, dass Garys Wandel so unverhofft dann doch nicht ist: Linklater suggeriert, dass ein jeder es in sich hat, niedere Triebe ganz lebenserhaltend und gesellschaftsfähig für sich zu vereinnahmen – die Verweise auf das Strukturmodell der Psyche von Sigmund Freud sind in dieser Hinsicht vielsagend. „Hit Man“ folgt nur oberflächlich den Reizen des kriminalistischen Handlungsgerüsts, die Gedankenspiele, die er aufmacht, interessieren Linklater viel eher.

Zu sehen im Kinepolis Belval und Kinepolis Kirchberg