Samstag25. Oktober 2025

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„Traumnovelle“ am TNLTrugbilder der Wollust

„Traumnovelle“ am TNL / Trugbilder der Wollust
Verkörpern die Figuren aus Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“: (v.l.n.r.) Christian Clauß, Nora Koenig, Christiani Wetter und Luc Feit  Foto: Bohumil Kostohryz

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Gelungener Auftakt: Frank Hoffmanns Inszenierung von Schnitzlers „Traumnovelle“ im TNL (ver-)lockt das Publikum mit traumhaften Bildern einer einstürzenden Welt.

Der Sohn eines jüdischen Mediziners und Universitätsprofessors, Arthur Schnitzler, hatte keinen leichten Stand. Den ungeliebten Beruf schmiss er hin, um sich ganz dem Schreiben von Theaterstücken zu widmen. Mit skeptischer Ironie und Genauigkeit zeichnete er in seinem Werk die bürgerliche Wiener Gesellschaft der Jahrhundertwende in all ihren Facetten. „Ich schreibe keine Stücke, ich schreibe Diagnosen“, so das Credo des Zeitgenossen von Freud, dessen Psychoanalyse entscheidend in Schnitzlers Werke einfloss, vor allem in seine „Traumnovelle“, in der sich das Lebensgefühl der Wiener Moderne und die Endzeitstimmung des Fin de Siècle widerspiegelt.

Mit der Inszenierung der Traumnovelle zum Auftakt der neuen Spielzeit im TNL hat sich Intendant Frank Hoffmann einiges vorgenommen, muss sich doch seit Stanley Kubricks Verfilmung des Stoffs („Eyes Wide Shut“, 1999) alles auch an diesem Epos messen lassen.

Ein starkes Ensemble rund um Nora Koenig und Luc Feit ist die halbe Miete, sie erweisen sich als perfekte Besetzung

Schnitzler beschreibt in seiner Traumnovelle den Traum im Traum, die vermeintlich harmonische Ehe des Arztes Fridolin (Christian Clauß) und seiner Frau Albertine (Christiani Wetter). In beiden brodeln ungestillte erotische Begierden und Träume, die sich sukzessive zur Entfremdung auswachsen. Durch die Fantasien und Erlebnisse einer Nacht gerät die Ehe ins Wanken, denn „kein Traum ist völlig Traum“.

Ein starkes Ensemble rund um Nora Koenig und Luc Feit ist die halbe Miete, sie erweisen sich als perfekte Besetzung. Aber auch das morbide Bühnenbild, das wie ein Blick in verstaubte Requisiten wirkt, nebst vorbeirauschenden Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Wien und den Schauspieler*innen selbst sind gut eingesetzt. Linker Hand der Bühne steht eine Kleiderstange voll verstaubter Klamotten. Rechter Hand baumeln lumpenartige Vorhänge von der Decke. Im Hintergrund sitzt ein Greis (Luc Feit) versunken an einem schiefen Klavier. Im Zentrum der Bühne lädt eine kreisrunde Couch zu erotischen Spielchen ein, so steht das Begehren im wörtlichen Sinne im Raum. Fridolin und Albertine räkeln sich darauf lasziv und fallen ungestüm übereinander her. Träume und erotische Fantasien verschmelzen so von Anbeginn miteinander.

Im Zentrum der Bühne lädt eine kreisrunde Couch zu erotischen Spielchen ein, so steht das Begehren im wörtlichen Sinne im Raum

Christian Clauß als Arzt Fridolin steht anfangs etwas neben sich. Verloren (vor Eifersucht und heimgesuchten Träumen) gleitet sein Blick ins Leere. Neckische Spielchen dominieren, doch transportiert sich die Entdeckungsreise Fridolins in die Tiefen seiner selbst nur schleppend. Seine Witze laufen so zunächst ebenfalls etwas ins Nichts und wirken recht unbedarft, etwa wenn er von sich gibt: „Professur hin oder her – ich habe einen hippokratischen Eid geschworen und der endet nicht an der Bettkante.“ Nora Koenig und Christiani Wetter glänzen hingegen von Anbeginn in den wechselnden Rollen.

Überzeugt in ihren Rollen: Nora Koenig
Überzeugt in ihren Rollen: Nora Koenig Foto: Bohumil Kostohryz 

Totenscheine auszufüllen, gehört für Fridolin zur Routine. Dass sich Frauen wie Marianne nach ihm verzehren, lässt den schlafwandelnden, ungelenken Arzt erst mal kalt. Ziellos streift er durch die Gassen Wiens und landet irgendwann in einem Kaffeehaus. Während er in der Abendzeitung von einem jungen Mädchen liest, das sich vergiftet hat, werden die Headlines an die Wände des TNL projiziert und die Bühne versinkt in Schlagzeilen. Der Tod ist in Arthur Schnitzlers Traumnovelle so präsent wie das Begehren: Tod, Liebe und Liebestod aus Sehnsucht, Tollerei oder schlicht aus Affektiertheit gehen Hand in Hand. Auch dies transportiert Hoffmann in seiner Inszenierung im TNL mit nur wenigen Requisiten.

Irgendwann trifft Fridolin seinen alten Studien-Freund Nachtigall (Luc Feit), der „als Klavierspieler für alle Stimmungslagen“ sein Geld in Kaffeehäusern und auf zwielichtigen Veranstaltungen verdient. Den Besucher*innen jener Bälle werden die Augen verbunden. Fridolin besteht darauf, dass Nachtigall ihn zu dem Ball, der in dieser Nacht stattfindet, mitnimmt. Nachtigall eiert erst herum, lässt sich aber irgendwann überreden – und so geht es schnurstracks zum Kostümverleih, wo er eine Mönchskutte ausleiht. Im Kostümgeschäft treffen die beiden Pierrette (Christiani Wetter), die als verworfenes Geschöpf an einer Kette hängt und lasziv um Aufmerksamkeit bettelt: Männerfantasien!

Erotisch-aufgeladener, sinnlicher Mummenschanz

Außer einem Schleier und Kruzifixen um den Hals sind die Frauen auf dem Ball nackt. Was man(n) sieht, weckt Begehren. Nora Koenig und Christiani Wetter verkörpern grandios die Objekte männlichen Begehrens zwischen heiligen Göttinnen (in goldenen Kleidern) und Huren: ein erotisch-aufgeladener, sinnlicher Mummenschanz. Die Männer stürzen auf die Frauen zu und beginnen wild mit ihnen zu tanzen. Fridolin wird ebenfalls umgarnt, doch seine Warnerin drängt darauf, dass er sofort fliehen solle.

Eine Erzählung zwischen Realität, Fantasien und Traumwelten
Eine Erzählung zwischen Realität, Fantasien und Traumwelten Foto: Bohumil Kostohryz

Als man ihn nach der Parole des Innenhauses fragt und er diese nicht kennt, wird er als Eindringling erkannt, und die Männer fordern ihn auf, die Maske abzunehmen. Fridolin bleibt und rennt so ins Verderben … würde sich die Geheimnisvolle nicht für ihn opfern. Er sieht noch die Silhouette seiner Retterin, erfährt aber nicht, was mit ihr geschieht. Denn alle sind in dieser Traumnovelle auf der Suche und kommen doch nirgends an.

Die Wiener Straßen scheinen über ihm einzustürzen (gelungener Effekt der Videoprojektion) und es locken Sexarbeiter:innen wie Mizzi. Doch auf die weltlichen Genüsse hat er keine Lust. „Unter anderen Umständen, in einer anderen Welt …“

Nebenbei zeigt Hoffmanns Inszenierung auch die bürgerliche (Doppel-)Moral des 19. Jahrhunderts. Fridolins Frau Albertine hat früh geheiratet und ihre Triebe unterdrücken müssen, um jungfräulich in die Ehe zu gehen. Im mittleren Alter empfindet sie die frühe Hochzeit und die sexuelle Unterdrückung als Verlust. Immer wieder deutet sie Vorwürfe gegenüber ihrem Mann an. Ihr Traum, in dem sie ihn foltern lässt und sogar seine Kreuzigung höhnisch lachend verfolgt, kann man als unbewusste Rache für ihren Triebverzicht deuten.

Alle sind in dieser Traumnovelle auf der Suche und kommen doch nirgends an

Wenn Fridolin in der Frühe nach Hause kommt, das Kostüm im Schrank versteckt und Albertine aufwachend vorfindet, wie sie sich im Schlaf vor Lust windet und gelöst lacht, scheint auch das Publikum wie aus einer Trance zu erwachen. Alles erweist sich als Trug und Schein. Was ist wahr, was Traum?

Das ist alles sehr unverschlüsselt freudianisch, wobei vielleicht die Entdeckungsreise Fridolins in die Tiefen seines Selbst etwas zu kurz kommt; und doch drückt die eineinhalbstündige Inszenierung dank der starken Bühnenpräsenz von Dreivierteln des Ensembles nicht aufs Gemüt, sondern ist heiter, amüsant und kurzweilig. Zum Ende hin wird das Ensemble mit seinen Armen und Beinen wie ein gigantischer Oktopus auf dem Sofa vor Wollust verschmelzen. Eine fast formvollendete Traumnovelle.

Zum Stück

„Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler. Kreation, Regie: Frank Hoffmann, Bühnenfassung und Dramaturgie: Florian Hirsch; Bühne: Christoph Rasche; Kostüme: Jasna Bosnjak; Kostüm-Mitarbeit: Denise Schumann; Musik- und Soundeffekte: René Nuss; Videodesign: Sebastian Pircher; Licht: Daniel Sestak; Maske: Joël Seiller; Regieassistenz: Maximilien Ludovicy, Stella Riolino; mit: Christian Clauß, Luc Feit, Nora Koenig, Christiani Wetter.

Premiere war am 27. September 2024 im TNL, nächste Spieltermine: 4., 11. Oktober, 19.30 Uhr, und am 13. Oktober um 17 Uhr im „Théâtre national du Luxembourg“. Eine Koproduktion mit dem TAK Theater Liechtenstein.