KinoStilisierte Pastiches: Die Filme der Coen-Brüder (Teil 2)

Kino / Stilisierte Pastiches: Die Filme der Coen-Brüder (Teil 2)
Ethan und Joel Coen Foto: Andrea Raffin

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Die Welt der Coen-Brüder ist uns gleichzeitig sehr vertraut und doch ganz befremdlich. Seit rund 40 Jahren bedienen sie immer wieder die Genrezitate, die die Filmgeschichte hervorgebracht hat, und unterwandern sie doch gleichermaßen. Es ist das Stilprinzip, das die beiden Filmemacher berühmt gemacht hat. Der zweite Teil einer Rückschau.

Zum großen Kultfilm und zeitlos scheinenden Höhepunkt in der Karriere der Coen-Brüder wurde „The Big Lebowski“ – dieser große Publikumserfolg von 1997 ließ vieles von der Hintergründigkeit früherer Werke vermissen, nicht aber die intertextuelle Dichte und die geschliffenen Dialoge. Ohne viel Sinn und Verstand wird darin von einem Späthippie berichtet, dessen Lebensinhalt vor allem von Joints, Cocktails und Bowling bestimmt wird. Er wird aufgrund einer Verwechslung in eine Entführungsaffäre verwickelt, die ihn allerlei unterschiedlichem kriminellem Interessen aussetzt. Es ist ein Film, der zu den einfallsreichsten komödiantischen Gaunergeschichten des Regieduos zählt. Besonders in diesem Film wird die überbordende Kreativität und Fantasie der Coen-Brüder wirklich ersichtlich, sie erinnern freilich an die frühen Arbeiten von Weggefährten wie Quentin Tarantinos oder noch an die surrealistischen Einfälle David Lynchs – aus heutiger Sicht scheinen Bezüge zum Werk des französischen Filmemachers Quentin Dupieux augenscheinlich.

Die Loser-Typen

Die große Vorliebe für Loser-Typen verbindet diese Regisseure miteinander. Aber es ist gerade das Mäandernde dieser Handlung, aus dem „The Big Lebowski“ seinen Reiz und auch bis heute seinen Wiedererkennungswert schöpft: Die Erzählstränge um diesen unbeholfenen Taugenichts, der noch nicht mal recht als Held für diese Filmgeschichte herhalten kann, verlaufen ins Nichts. Der Belanglosigkeit dieses Streunerdaseins gilt hier das Augenmerk, sie wird in der erzählerischen Form nochmals nachgebildet.

Feste Erzählformeln umzugestalten, war auch das erklärte Ziel des nächsten Projekts: Zur Jahrtausendwende erschien „O Brother, Where Art Thou?“ (2000) – eine Umwandlung von Homers Odyssee an den Mississippi zur Zeit der Weltwirtschaftskrise. Aus den strahlenden Heroen der Antike sind hier drei Hinterwäldler geworden. Darauf folgte ein Remake von „Ladykillers“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle, dem Klassiker von 1955 unter der Regie von Alexander Mackendrick.

Ein wirklich herausragendes Werk, das einhellig von Publikum und Kritik angenommen wurde, gelang ihnen erst wieder 2007 mit „No Country For Old Men“. Es ist einer der ersten bekannteren Filme, die als „Neo-Western“ rezipiert wurden: Unter dem Gewand der klassischen Bildwelten und Genremuster des Westerns wird eine zeitgenössische Variante von Rache und Moral erzählt: Durch einen gefundenen Geldkoffer gerät ein arbeitsloser Vietnam-Veteran (Josh Brolin) ins Visier eines kaltblütigen Killers (Javier Bardem), der im Auftrag eines Großkriminellen um die Wiederbeschaffung des Koffers kämpft. Diese Adaptation des gleichnamigen Romans von Cormac McCarthy besticht einmal mehr durch die Regieeinfälle, in seiner Fokussierung auf Fragen des Lebenssinns und moralischem Handeln erweist sich dieser Film aber als weitaus ernster und tiefsinniger als vorherige Arbeiten der Coens, zumal deren ironischer Impetus hier ausblieb.

Das Mäandernde

Die darauffolgende Satire „Burn After Reading“ (2008) um eine CD mit allerlei brisanten Informationen eines CIA-Agenten, die zufälligerweise in den Händen von zwei skrupellosen, aber dümmlichen Fitnessclub-Mitarbeitern landet, die versuchen, sie zu verkaufen, brachte den Coens gemischte Rezensionen ein. Es fehlte etwas an der Treffsicherheit, an der Virtuosität, das Ganze zu einer Rundung zu führen. Das Zerbersten der Handlung in immer mehr Einzelteile, die sich nicht mehr recht fügen wollen, ist das künstlerische Prinzip, nach dem die Brüder arbeiten. Dabei passt das Figurenrepertoire ganz in die Filmwelten der Coens: Es sind unbeholfene Versagergestalten, die sich immer mehr in ihrer Misere verstricken, statt wirklich aus ihr auszubrechen. Das ist auch in „A Serious Man“ (2009) nicht anders: Das große Unglück bricht über den unscheinbaren Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg) herein, als seine Frau die Scheidung fordert, der Verdacht des Glücksspielbetrugs ihn unter Beobachtung der Behörden stellt und er von einem anonymen Briefschreiber verleumdet wird.

„True Grit“ (2010) war das gleichnamige Remake des Westernklassikers von 1969 mit John Wayne, in dem ein harter US-Marshall (Jeff Bridges) einer sturen Teenagerin hilft, den Mörder ihres Vaters dingfest zu machen. Dieser Film ist eine Ausnahmeerscheinung im Werk der Brüder, weil er die Genrewelt des Westerns hier erstmals wirklich ernst nimmt und Genre nicht nur bloßes Zeichen ist, das es gilt, umzuformen, zu biegen, zu unterwandern, zu überschreiten. „Inside Llewyn Davis“ (2013) um einen Musiker verfuhr ähnlich klassisch nach den Vorgaben des Biopic: Im Jahr 1961 steht der Folksänger Llewyn Davis (Oscar Isaac) in New York City am Scheideweg. Mit der Gitarre in der Hand kämpft er gegen scheinbar unüberwindbare Hindernisse, um sich in der Musikwelt einen Namen zu machen.

„Hail, Caesar“ (2016) verschrieb sich dann wieder ganz dem Pastiche, der Mise en abyme und der Genreironie: Dieser Blick auf das klassische Hollywoodsystem bewegte sich zwischen Hommage und Dekonstruktion. Darin begleiten wir einen Hollywood-Manager (Josh Brolin) der Anfang der 1950er-Jahre ein Filmprojekt retten muss: Es ist ein ganz ausbalancierter Film aus Reverenz und Dekonstruktion, der mit den pointierten Wortgefechten aus der Feder der Coens aufwartet, allerlei selbstreferenzielle Bezüge schafft, aber unter der Last seines Schauspielensembles zusammenbrach.

„The Ballad of Buster Scruggs“ (2018) war eine erneute Rückkehr zum Wilden Westen: In sechs Kurzgeschichten wird auf sehr rudimentäre, vignettenhafte Weise eine Rückbesinnung entworfen, die den „Frontier“-Mythos auf eine leere Gewaltgeste reduziert. Dies war die vorerst letzte gemeinsame Regiearbeit der Brüder. In seiner äußerst werkgetreuen Macbeth-Verfilmung (2021) führte Joel Coen allein Regie, während Ethan Coen den Dokumentarfilm „Jerry Lee Lewis: Trouble in Mind“ (2022) realisierte. Ob getrennt oder zusammen: Die Coen-Brüder zählen neben einer Reihe von Kollegen zu den wegweisenden Pionieren der Postmoderne im Kino, deren Stilverliebtheit und filmhistorische Rückschauen bis heute nicht nachgelassen haben: Der nun erschienene neue Film Ethan Coens, „Drive-Away Dolls“, ist zuvorderst eine feministische Variante der in den 90er-Jahren beliebten Erzähltropen: Eine mysteriöse und verworrene Krimigeschichte um einen Koffer – das beliebte MacGuffin, das auch bei Lynch und Tarantino zum Einsatz kommt – verbindet das Schicksal zweier junger Frauen mit dem zweier völlig unfähiger Kleinkrimineller, die sich an ihre Fersen heften. Es ist ein Film nach bewährten Mustern: Er verwebt Road-Movie-Elemente mit Gangsterfilm-Tropen zu einem wilden Hybridfilm, der alte Erzählformeln an den neuen Zeitgeist anzupassen versucht.