KinoStilisierte Pastiches: Die Filme der Coen-Brüder (Teil 1)

Kino / Stilisierte Pastiches: Die Filme der Coen-Brüder (Teil 1)
Zwei Brüder, eine Leidenschaft: die Regisseure Ethan und Joel Coen Foto: Shelly Prevost/CC BY 2.0 DEED 

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„Drive-Away Dolls“ ist die zweite Regiearbeit nach dem Dokumentarfilm „Jerry Lee Lewis: Trouble in Mind“ (2022), die Ethan Coen ohne seinen Bruder Joel realisierte. Obwohl die beiden Regie-Brüder nun mehr auf einzelnen Wegen gehen, kann man deren Geschichte nicht ohne den anderen erzählen, eine zweisame Regiekarriere, die bis in die frühen Achtzigerjahre zurückreicht – die erste Ausgabe eines zweiteiligen Rückblicks.

Die Popularität ihres Gesamtwerkes hat die Coen-Brüder in Hollywood längst zu einer festen Größe gemacht. Ihre Arbeitsaufteilung folgt im Wesentlichen einem gleichen Schema: Joel übernimmt die Regie, während Ethan die Produktion leitet – die Drehbücher stammen indes immer von den beiden. Wie genau sich die Arbeitsteilung im Prozess der Vorproduktionsphase, der Dreharbeiten und der Postproduktion tatsächlich vollzieht, ist nie ganz klar zu definieren. Es ist in allen Fällen eine überaus symbiotische Arbeitsweise. Es ist für beide eine ungemein produktive Zusammenarbeit, die rund 20 Filme hervorgebracht hat, die sich immer bewusst versuchen, an der Schnittstelle von Arthouse-Flair und kommerziellem Genrekino zu situieren. Diese Strategie einer doppelten Ausrichtung bestimmte schon immer das Werk der Coens.

„Blood Simple“: Die Anfänge im US Independent Cinema

Mit „Blood Simple“ hat alles begonnen: In diesem 1984 erschienen Krimifilm werden zwei Tendenzen im Werk der Coen-Brüder besonders auffällig: Zum einen bietet der Film für ein größeres Publikum bestes Unterhaltungskino, zum anderen findet eine filmhistorisch bewanderte Zuschauerschaft darin zuvorderst eine große Hommage an den amerikanischen Film noir der Vierzigerjahre, jene düster-pessimistischen kriminalistischen Nachkriegsfilme, die der Hard-boiled-Literaturtradition aus der Feder von Dashiell Hammett nachempfunden waren. „Blood Simple“ ist eine Abwandlung von James M. Cains Roman „The Postman Always Rings Twice“, den zuerst Tay Garnett 1947 als klassischer Noir-Film, dann Bob Rafelson 1981 als Neo-Noir verfilmte. Die Handlung folgt einem texanischen Barkeeper, der eine Liebesaffäre mit der Frau seines Chefs hat. Als sein Chef die Affäre entdeckt, beauftragt er einen Privatdetektiv, das Paar zu töten.

Es war der erste große Film des Kameramanns Barry Sonnenfeld, der später auch Regisseur wurde, sowie das Spielfilmdebüt von Frances McDormand, die seither immer wieder in Filmen der Coens zu sehen sein würde. Ein ausgeprägter Wille zur äußeren Formgebung bestimmt diesen Film auf auffällige Weise: ungewöhnliche Kamerawinkel, schnelle Schnitte. Eine Betonung des Filmstils verband sich hier mit einer hochgradig postmodernen Erzählweise, die die Erfolgsformel ihres Filmschaffens ausmachen sollte. Von der Peripherie der kommerziellen Filmproduktion avancierten sie so immer mehr zu größer budgetierten Filmen, die sie heute ganz im Zeichen der angesehenen Hollywood-Filmemacher wahrnehmen lassen. Der Film fand sowohl Anklang beim Publikum als auch bei der Kritik.

Genrezeichen und Innovation

Die betonte Intertextualität des Erstlingswerks soll bestimmend sein für die folgenden Regiearbeiten des Brüderpaars: Mit dem Gangsterfilm „Miller’s Crossing“ (1990) variierten sie die Handlung von Hammetts Roman „The Glass Key“ – die Genrezitate sind hier in äußerst stilisierte und tableauartige Bildkompositionen eingebettet. Nur ein Jahr später folgte mit „Barton Fink“ eine tiefschwarze Sezierung des Produktionssystems Hollywoods: Ein labiler Drehbuchautor (John Turturro) gerät in die Fänge eines Mordfalls, den indes sein gutmütig wirkender Zimmernachbar (John Goodman) beging. Dieser Film ist besonders in seiner metareflexiven Dimension klug konstruiert, indem er mehrere Realitätsebenen aufmacht und so in dem Verhältnis des Drehbuchautors zu der Filmproduktion, die inneren Mechanismen Hollywoods offenlegt.

„Hudsucker Proxy“ von 1994, eine bitterböse, schwarze Aufsteigersatire, ist zuvorderst als Reverenz auf das Genre der Screwball-Komödie des klassischen Hollywoods angelegt: Mit ähnlich scharf-spitzen Dialogen und einer zentralen, verführerisch-manipulativen Frauenfigur, wie man sie aus den Filmen von Frank Capra kennt, berichtet der Film von dem unscheinbaren Diplom-Kaufmann Norville Barnes (Tim Robbins), der zum Präsidenten einer Produktionsgesellschaft gemacht wird, um hintenrum einen Börsenbetrug zu kaschieren – hier war erstmals ein erster Umschwung in der Rezeption der Coen-Brüder markiert: Zu sehr erschöpfe sich dieser Film im Zitat – seine Vorbilder sind die bekannten Filme der Zeit: „It Happened One Night“ (Frank Capra, 1934), „Mr. Deeds Goes to Town“ (auch Capra, 1936) –, sogar das Schauspiel von Jennifer Jason Leigh als Bürosekretärin ist bis ins kleinste Detail an Rosalind Russell aus „His Girl Friday“ (Howard Hawks, 1940) angelegt. Alle Anspielung könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film inhaltsleer und unpersönlich sei, so das damalige Empfinden. Dieser Vorwurf begleitete die Coens immer wieder.

„Fargo“ (1996) fand wieder sein Publikum und auch die Filmkritik. Darin erzählen die Coens eine ähnlich düstere Noir-Geschichte, brachen aber mit den Standards, indem sie die Handlung aus der verruchten Großstadt in abgelegene Schneelandschaften um Minneapolis umsiedelten. Jerry Lundegaard (William H. Macy), ein glückloser, in finanziellen Schwierigkeiten steckender Autohändler, engagiert zwei Verbrecher, damit diese seine Frau entführen. Der reiche, arrogante Schwiegervater soll das Lösegeld bereitstellen. Doch als der Plan gründlich schiefgeht, entwickelt sich daraus eine blutige Auseinandersetzung, an deren Ende eine tragikomische Note spürbar wird. Die schwangere Polizistin (Frances McDormand) löst den Fall auf, muss aber den Killer erschießen. Nichts ist wirklich gewonnen in diesem Heimatthriller, dessen ironischer Gestus dem Film deutlich anzumerken ist – weniger konstruiert und artifiziell als etwa „Blood Simple“, überwiegt in „Fargo“ ein liebevoll-pointierter Charme. Dieser erste große Höhepunkt machte die Gebrüder Coen zu einem festen Gespann einer neuen, kunstvollen Richtung des amerikanischen Kinos der Gegenwart.