Sizilianische Sturheit

Sizilianische Sturheit

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wie aus einer Bagatelle eine existenzielle Tragödie werden kann, das erzählt die Dramatikerin Emma Dante in ihrem ersten Spielfilm. Ort des Geschehens ist eine kleine Gasse mitten in Palermo: die Via Castellana Bandiera.

Es ist knallheiß, Clara (Alba Rohrwacher) und Rosa (Emma Dante) haben Schweißperlen auf der Stirn, die Luft steht förmlich in ihrem kleinen Fiat, mit dem sie durch die Gassen von Palermo kurven. Sie sind auf dem Weg zur Hochzeit eines Freundes, die Stimmung ist angespannt. Beziehungsknatsch, über 40 Grad, eine chaotische Straßenführung und dann verfährt sich Rosa auch noch. Dann der Schnitt: Ein zweiter Fiat, bis oben hin mit Menschen beladen, eine alte Frau, Samira, am Steuer. Eben war sie noch am Grab ihrer viel zu früh verstorbenen Tochter. Jetzt befindet sie sich im Auto mit ihrem Schwiegersohn und den Kindern. Das Baby schreit, die Kleine zählt, der Junge schaut aus dem Fenster.

Emma Dante
„Via Castellana Bandiera“

Mehrmals täglich im Utopia
www.utopolis.lu

Plötzlich stehen sich die beiden Autos in einer kleinen Gasse gegenüber. Einer müsste zurückfahren, doch Pustekuchen. Beide Frauen am Steuer denken gar nicht daran, einzulenken und zurückzusetzen und so bleiben sie eben stehen. In der prallen Hitze, in einer Gasse in Palermo.

Während der Zuschauer bis zu diesem entscheidenden Moment durch die hektische Führung der Handkamera regelrecht durchgeschüttelt wird bei dem Gekurve durch Palermo, kehrt nun etwas Ruhe ein. Blicke zwischen den beiden Frauen werden ausgetauscht, ein Krieg ohne Worte, mit dem Lenkrad als Waffe, das von beiden heftig umklammert wird.

Stellvertreterkrieg

Dem Zuschauer wird schnell klar, dass hier ein Stellvertreterkrieg geführt wird, Samira, die ihre verstorbene Tochter vermisst, und Rosa, die kaum mehr Kontakt zu ihrer Mutter hat und seit Jahren nicht mehr nach Palermo zurückgekehrt ist, projizieren ihre persönlichen Geschichten beide in ihr unbekanntes Gegenüber. Schnell ist die gesamte Nachbarschaft an dem Geschehen interessiert, Wetten werden abgeschlossen, welche der beiden Frauen denn nun ihre Sturheit überwinden und zurückfahren wird. Doch die Nacht bricht herein, Männer und Kinder schlafen mittlerweile, die Lösung des Konfliktes ist in weite Ferne gerückt. Dass am Ende eine der beiden Frauen sterben muss, ist wohl so bei einem sizilianischen Duell.

Weibliches Duell

Das Duell könnte auch auf einer Theaterbühne spielen. Emma Dante, die ursprünglich aus dem Theater kommt, gelingt es wunderbar, komödiantische Züge, absurde Momente und Offenbarungen der menschlichen Seele zu einem vielschichtigen Gesamtbild zu kombinieren. Mit viel Liebe zum Detail, wenigen narrativen Momenten, dafür umso vielsagenderen Gesten und Mimiken legt sie so eine latente Aggressivität bloß, die wohl in vielen Teilen der modernen Gesellschaft schlummert. Und sich in den absurdesten Momenten entlädt. Der Film, der auf Dantes gleichnamigem Roman basiert, hat bei aller Traurigkeit und Einsamkeit sehr viel Witz.

Als dann am Ende die Kamera aus der Frontperspektive auf die Gasse blickt und diese mittlerweile so breit geworden ist, dass beide problemlos hätten aneinander vorbeifahren können, bleibt eigentlich nur noch eins: So tragisch das menschliche Leben auch sein mag, eigentlich muss man lächeln über so viel Sturheit, Borniertheit und Liebenswürdigkeit. Die natürliche Glaubwürdigkeit der Schauspieler, die charmanten Häuserfassaden eines Wohnviertels in Palermo und die knappen, pointierten Gesprächsfetzen machen aus dem Film einen italienischen Genuss, der lange nachwirkt und so manche Bilder im Kopf hinterlassen wird.