Freitag17. Oktober 2025

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Rechtfertigung auf 400 Seiten

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Die meisten Menschen dürften sich schon mal in der unangenehmen Situation wiedergefunden haben, ein Streitgespräch über Politik zu führen, bei dem es eigentlich um etwas ganz anderes geht. Die Diskussion über Bildungsreform wird in der WG zu einem Stellvertreterkrieg für den nicht gemachten Abwasch, oder der Afghanistankrieg muss herhalten, um die Machtordnung zwischen Schwiegersohn und...

Sarah Palins kürzlich erschienene Autobiografie „Going Rogue: An American Life“, in der ihr Leben von der Kindheit in Alaska bis zum Rücktritt als Gouverneurin nach dem gescheiterten Präsidentschaftswahlkampf an John McCains Seite dargestellt wird, zu lesen, versetzt einen ständig in diese Position, und ohne dass man den anderen konfrontieren könnte, muss man sich selber fragen: Worüber wird hier eigentlich gesprochen?

Eine naturverbundene Außenseiterin

Sarah Palin zeichnete sich im Wahlkampf gerne als Außenseiterin, die mit einer gehörigen Portion Menschenverstand den veralteten politischen Betrieb aufmischt. Diese Selbstdarstellung als robuste Individualistin speist sich in der Autobiografie vor allem aus ihrer Kindheit und Jugend in Alaska. Das Eingangskapitel „The Last Frontier“ beschreibt ausführlich ihre Sozialisation in den rauen und männlichen Dörfern und Wäldern Alaskas, und es scheint, dass der Glanz der Pioniere, der mutigen Helfer der Gründungsväter, auch auf sie reflektieren soll.

Es werden Werte wie Eigenständigkeit, Loyalität, Durchhaltevermögen und Demut beschworen, wenn sie Jagdausflüge mit ihrem Vater beschreibt oder ihren Aufstieg im Schulsport. Erfolg wird sich dann einstellen, wenn man gewillt ist, Schmerzen in Kauf zu nehmen, lehrt uns zum Beispiel ihre Geschichte vom gewonnenen Basketballspiel trotz Fußverletzung.

Und die nächtlichen Kontrollen auf dem Schneemobil durch einen Polizisten, dass die unabhängigen Kinder von Alaska keine machthungrigen Staatsvertreter brauchen. Die Natur Alaskas ist der Hintergrund für diese puritanisch anmutende Individualismus-Rhetorik. Ganz im Sinne der amerikanischen Romantik erlebt Palin nicht nur ihre moralische Sozialisation dort, sondern einen transzendenten Moment, der sie Gott näher bringt und zu einer ernsthaft praktizierenden Christin werden lässt.

Es ist schwer, sich als Leser dem Eindruck zu erwehren, dass diese Schilderungen nur der Aneinanderreihung von emotional aufgeladenen Schlüsselbegriffen der amerikanischen Kultur gelten. Man nimmt Palin die Begeisterung für ihren Heimatstaat Alaska durchaus ab, doch fällt sie der Darstellung der Hauptfigur als Kind dieser rauen, aber wunderschönen, uramerikanischen Wildnis zum Opfer.

All die Seen, Wölfe und Karibus müssen herhalten, um deutlich zu machen, dass Sarah Palin gar nicht anders konnte, als eine ehrliche und rechtschaffene Politikerin zu werden. Diese recht freizügige Modulierung ihrer Lebensgeschichte erreicht jedoch in der Darstellung der politischen Jahre erst ihren Höhepunkt. Im Anschluss an die Kindheit und Jugend schreibt Sarah Palin viel über ihre Aufgaben und Erfolge als Mutter und Ehefrau. Wieder ist ihre Freude über ihre Kinder durchaus nachvollziehbar, doch wird ständig nahegelegt, dass es genau diese Herausforderungen sind, die sie qualifizieren, als Außenseiterin mit Herz und Pragmatismus den politischen Sumpf trockenzulegen.

Eine Politikerin wie du und ich

Es ist gut, dass Sarah Palin mehrfache Mutter ist und Karriere macht. Auch dass sie ihre Familie in ihren Berufsalltag integriert und ihre Rollen als Mutter und als Berufstätige vereint, ist fortschrittlich. Doch wenn sie zum Beispiel in eine Debatte zwischen Männern mit dem Gestus einer abgehärteten Mutter eingreift, qualifiziert sie das zwar als Moderatorin, sagt aber nichts über ihre Positionen, Vorschläge oder politischen Visionen aus. Trotzdem wird die Mutterrolle als das politische Modell und als Garant für Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit herangezogen.

Dementsprechend werden ihre frühen Jahre als Bürgermeisterin von Wasilla und Gouverneurin von Alaska ganz der Darstellung ihrer Unbestechlichkeit und Volksnähe gewidmet. Ihre durchaus ehrenwerte Aufdeckung von alteingesessener Korruption und ihre parteiübergreifende Arbeit während ihrer Zeit in Juneau, der Hauptstadt von Alaska, sind dann die natürliche Folge dieser Haltung. Palins politisches Programm ist, glaubt man ihr, gesunder Menschenverstand. Sie regiert so, wie es jeder gute Bürger tun würde, und die Autobiografie wird nicht müde, diese tugendhafte Bescheidenheit immer wieder zu betonen.

Nachdem man nun als Leser von Palins inhärenter Moralität überzeugt wurde, kann der Präsidentschaftswahlkampf für das Amt der Vizepräsidentin an John McCains Seite dargestellt werden. Und nun sind wir an dem eigentlichen Ziel des Buches angelangt: Stück für Stück wird jede der Verfehlungen, die Palin während des Wahlkampfes angelastet wurden, abgehandelt und entkräftet.

Man erfährt zum Beispiel, dass die CBS-Journalistin Katie Couric Palin übel mitgespielt hat und das stotternde und uninformierte Bild, das Palin in ihrem ersten ausführlichen Fernsehinterview abgab, allein den unlauteren Methoden des linken Journalismus zuzuschreiben ist. Ebenso unschuldig und verleumdet musste sie den Skandal um ihre teuren Flüge und ihre aufrührerischen Bemerkungen über Obamas angebliche Verbindungen zu linken Terroristen über sich ergehen lassen.

Dem Leser wird nun klar, dass man lange darauf vorbereitet worden ist, eine ausführliche Rechtfertigung und Verteidigung von Sarah Palins Figur und ihrer Politik zu lesen. Die ständige Betonung der eigenen Ergebenheit und Natürlichkeit dient im Endeffekt der Selbsterhöhung, ganz im Sinne der nietzscheanischen Veränderung der Feststellung aus dem Lukas-Evangelium: „Wer sich erniedrigt, wird erhöht werden“ in: „Wer sich erniedrigt, will erhöht werden.“

Moderne Politiker-Stars

Trotzdem lassen sich das Buch und die Figur Sarah Palin gewinnbringend betrachten: Der Aufbau zu einer moralischen Figur greift auf so ziemlich alle Leitmotive des amerikanischen Selbstbildes – unter anderem Freiheit, Selbstständigkeit, Natur, Gott, Vielfältigkeit – zurück, ohne sich mit einem dieser Punkte eingehend auseinanderzusetzen.

Ebenso sind ihre spärlichen Verweise auf ein politisches Programm geprägt von seltsam bedeutungsleeren Kennwörtern aus den Reagan-Jahren, die weniger Regierung und Steuern versprechen, ohne die Umsetzung zu diskutieren.

Es ist gerade diese Oberfläche, die einer medialen Figur wie Sarah Palin am besten steht. Die Arena, in der sie auftritt, bietet eine mediale Event-Kulisse, in der Politik und Entertainment sich zu einem fügen, die Sehnsucht nach Echtheit aber ständig wächst. Nur Barack Obama hat es momentan in den USA noch besser verstanden, gleichzeitig Star, Politiker und Hoffnungsträger zu sein.

Die Kombination von allgemein verträglichen Schlüsselwörtern und persönlicher Authentizität bietet eine Projektionsfläche für Anhänger, die sich in wohliger Emotionalität an Palin nicht als Politikerin, sondern als Leitstern im Medienhimmel orientieren können. Deswegen konnte Palin auch getrost von ihrer Position als Gouverneurin zurücktreten. Ihr Wirkungsort ist nicht das Parlament, sondern die Medienlandschaft.

Diese Einsicht erklärt auch die aufgebrachten Massen, die sich ganz nach Art der Harry- Potter-Fans schon nachts auf den Bürgersteigen vor den Buchläden positionierten, um Palin auf ihrer ebenfalls hochpublizierten Buchtour zu begegnen. An der Qualität des Buchs lag es sicher nicht.