Alain Steffen
Die Virtuosität ist bis ins kleinste Detail perfekt, und das Spiel erscheint immer hundertprozentig, aber alles wirkt so erlernt, akademisch und berechnet. Noch immer ist in Kissins Spiel nur wenig Platz für ehrliche Emotionen und für Spontaneität, Mitteilsamkeit, Freude oder Abenteuerlust.
Es gibt Werke, die diese distanzierte Haltung besser vertragen als andere. Dazu gehört zweifelsohne Chopins 2. Klavierkonzert, das wir in diesem ersten Konzert mit dem Orchestre Philharmonique du Luxembourg hören konnten.
Stimmig, aber maschinell
Kissin, der mit seinen beiden Konzerten mit dem OPL debütierte, stellte die Virtuosität hinten an und strebte eine klare, kammermusikalische Position an, die wunderbar elegant und stimmig daherkam, aber doch recht maschinell wirkte.
Doch Chopins Klavierkonzert verträgt ein solches Spiel weitaus besser als diese übertriebenen, emotionsgeladenen und mit künstlerisch aufgeplusterter Virtuosität versehenen Interpretationen. In dem Sinne können wir Kissin diesmal nur gratulieren; seine emotionale Distanz hat das op. 21 tatsächlich aufgewertet.
Und dass man die Interpretation, allgemein betrachtet, sogar als mustergültig ansehen kann, lag vor allem an dem sorgfältigen Spiel des OPL und an der Zurückhaltung seines Dirigenten. Emmanuel Krivine ging allem Plakativen aus dem Weg und strebte eine durch und durch kammermusikalische Interpretation an. Und ich muss zugeben, dieses Konzert auf orchestralem Niveau selten so transparent, feingliedrig, schön und letztendlich interessant gehört zu haben wie unter Krivine.
Die Objektivität, die er dabei an den Tag legte, passte demnach hervorragend zu Kissins Vision des Stückes, so dass Solist, Dirigent und Orchester sich auf schönste Weise ergänzten.
Kammermusikalische Transparenz, das war auch das Schlagwort für die Ouvertüre zum Märchen von der schönen Melusine op. 32 von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Auch hier begeisterte das Spiel des OPL durch Ausgewogenheit, Klangschönheit und exzellente Einzelstimmen.
Krivine verzichtete auf zu viele klassich-romantische Gebärden und ließ das Stück schlicht und präzis erklingen. Dass man selbst die Werke von Richard Strauss nicht immer mit orchestralem Popanz gleichsetzen soll, zeigte uns die Aufführung von „Also sprach Zarathustra“.
Man kann von dem Werk halten, was man will, das Interessanteste daran ist wohl Strauss’ Orchestrierung und sein Spiel mit Farben und Stimmungen. Krivine und seine Musiker ließen sich nicht von klangüppiger Oberflächlichkeit verleiten, sondern versuchten, die vielschichtige Partitur möglichst präzise und detailgetreu aufzuarbeiten und dem Publikum somit zu zeigen, dass Strauss nicht nur explosiv-volltönende Musik schreiben konnte, sondern auch ein Meister der leisen Töne und der Farben war.
In dem Sinne erlebten wir an diesem Abend eine absolut hochkarätige Wiedergabe, zumal sich Krivines konzentriertes Dirigat positiv auf die Musiker auswirkte und das OPL eine makellose musikalische Leistung bot.
De Maart
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