KinowocheLa différence entre Dupieux et un fou, c’est que je ne suis pas fou

Kinowoche / La différence entre Dupieux et un fou, c’est que je ne suis pas fou
Hinter der eigentlichen Verkörperung des größenwahnsinnigen Künstlers versteckt sich eine tiefe Auseinandersetzung mit der Kunst Foto: Atelier de Production

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Quentin Dupieux, der Stachanowist des französischen Kinos, meldet sich einmal mehr zu Wort und huldigt mit seinem Film „Daaaaaalí!“ dem berühmten katalanischen Künstler – wenngleich dieser fünf A weniger im Namen hatte. Was auf dem Papier den Eindruck eines Künstler-Biopics erweckt, ist alles andere als das. Dupieux bringt dabei nicht nur den „Godfather of Surrealism“, sondern auch jeglichen Sinn für Zeit und Raum zum Schmelzen.

Wie so oft in der Kunst, steht am Anfang ein weißes Blatt. Nicht etwa die leere Leinwand, vor der Künstler*innen stehen und sich fürchten, ihr den ersten Pinselstrich zu geben. Am Anfang von „Daaaaaalí!“ sind es ein Notizblock und ein Stift, die die junge Journalistin Judith Rochant in den Händen hält. Sie wartet in einem Hotelzimmer auf ihren Interviewpartner. Sie wird gleich ihren großen Helden Salvador Dalí interviewen dürfen. Das Gespräch wird sich für Judith jedoch als viel schwieriger erweisen als am Anfang gedacht. Am Anfang. Ist es überhaupt der Anfang? Judith bekommt es nicht mit einem, sondern gleich mit sechs Dalís zu tun. Nicht, dass es ihr oder sonst irgendeiner Figur auffallen würde. Gleich sechs Männer verkörpern also den Künstler – Edouard Baer, Jonathan Cohen, Gilles Lellouche, Pio Marmaï, Didier Flamand und Boris Gillot.

Während Bertrand Mandico in „Conann“ (Besprechung im Tageblatt vom vergangenen Montag) mit seiner Besetzungspolitik aus sechs Schauspielerinnen für ein und dieselbe Rolle einer feministischen Repräsentation von Frauen im Kino nachging, interessiert sich Quentin Dupieux auf einer ersten Ebene vielleicht für die Absurdität der künstlichen Verkörperung einer historischen Figur. An sich sind ein gezwirbelter Schnurrbart, geleckte Haare, ein Stock und ein extravaganter Mantel schon die halbe Miete. Edouard Baer, Jonathan Cohen (unsere Favoriten) & Co. eignen sich jedenfalls mit diesen wenigen Mitteln und einer mehr als dankbaren, weil herrlich imitierbaren, französischen Aussprache Salvador Dalís diese Performance an. Eine sechsfach gedoppelte Performance, hat doch der Katalane zeit seines Lebens seine öffentliche Persona so kultiviert wie wenige andere, bis er zur Karikatur seiner selbst wurde.

Wenn man aber an den Schauspielern und ihren jeweiligen karnevalesken, theatralischen Dalís vorbeischaut, wird einem erst bewusst, inwiefern das Biopic, welches keines ist, für Quentin Dupieux auf der Hand liegen musste. Wenn die eigentliche Verkörperung des größenwahnsinnigen Künstlers für den Regisseur eine Fassade für allerlei Schabernack und Dödeleien ist, versteckt sich dahinter eine tiefe Auseinandersetzung mit der Kunst, die – und das wird oft vergessen – trotz allem hinter dem Künstler stand. Keine Angst, wir schauen dabei Dalí nicht über die Schultern, wie noch vor wenigen Wochen im Pierre-Bonnard-Biopic. Dupieux formuliert seine Auseinandersetzung mit dem Surrealismus von Dalí nicht etwa über Dialoge oder klassisch narrative Situationen, sondern mit der Essenz seiner Kunst an sich.

Die Montage als Geheimwaffe

„Daaaaaalí!“ ist in gewisser Hinsicht die Verfilmung der weichen, dahinschmelzenden Uhren seines wahrscheinlich bekanntesten Gemäldes „La persistencia de la memoria“. Er verweichlicht nicht unbedingt eine Beständigkeit der Erinnerung, dafür aber das, was angenommene Konzepte von Zeit und Raum ausmachen. Wenn Judith vor dem Hotelzimmer im Korridor auf Dalí wartet und dieser um die Ecke kommt, dauert es eine Ewigkeit, bis dieser die wenigen Meter gemacht hat. Judith und die Assistentin rufen den Zimmerservice, treten noch einmal aus und besprechen noch das Interview – alles das, während ihnen Dalí entgegenkommt. Natürlich ist dieser Witz nicht neu – „Monty Python and the Holy Grail“ lässt grüßen –, aber es stimmt darauf ein, was die nächsten knapp 70 Minuten passiert. Ein Traum, der Dalí bei einem Abendessen für potenzielle Inspiration zu einem Meisterwerk von einem Pfarrer nahegebracht wird, wird schier unendlich und man verliert komplett den Überblick, ob und wie tief man in einer Traumwelt oder in der Realität steckt.

Kurt Vonneguts „Slaughterhouse 5“ und sein Protagonist Billy Pilgrim, der „unstuck in time“ durchs Leben geht und loopt, kommt dabei auch in den Sinn. Die wahnwitzigen Fieberträume, die damit einhergehen, sind in der Filmografie des Franzosen immer wieder zu finden und so etwas wie Existenzängste versteckt sich in dem spektakulären Blödsinn ebenfalls stets. „Yannick“ im Film mit dem gleichen Titel mag nicht seine wertvolle Freizeit mit einer beschissenen schlechten Theaterklamotte verplempern, die Superhelden aus „Fumer fait tousser“ warten stumm auf einen mysteriösen Epochenwechsel und während „Mandibules“ wartet der Zuschauer auf Godot, auf die Auflösung, den Auftritt des Sinnes hinter dem Blödsinn mit der Mücke, der einem die Lebenszeit nimmt. Jetzt spielt eine Angst vor dem Älter-Werden und dem Tod eine beachtliche Rolle. Und Dupieuxs Geheimwaffe in „Daaaaaalí!“ ist die Montage. Er spielt dank seiner Montage mit Raum- und Zeitgefühl wie Kinder mit Gummibändern. Paralleluniversen, Zeitachsen und Traumwelten überschlagen sich so krass, dass Christopher Nolan schwindlig werden würde.

Dalí versteckte sich vielleicht hinter seiner größenwahnsinnigen Performance, aber Quentin Dupieux versteckt sich hinter einem falschen Sinn für Dilettantismus. Und auch, wenn es auf den ersten Blick verwundert, dass er sich dieser historischen Künstlerfigur hingibt, so ist am Ende dieser Film ein folgerichtiger Schritt für ihn, eine Notwendigkeit und eine essenziellere Aufarbeitung als 99 Prozent aller Künstler-Biopics davor.

„Daaaaaalí!“ von Quentin Dupieux, mit u.a. Edouard Baer, Jonathan Cohen und Anaïs Demoustier, zu sehen im Ciné Utopia.