Tageblatt: Hallo Herr Rewenig, wie geht es Tania Naskandy?
Guy Rewenig: „Ich habe sie lange nicht mehr gesehen, sie wohnt ja in der Schweiz. Aber sie hat mir gestern gemailt, in Winterthur sei es ein bisschen kühler als hier. Liegt vielleicht am Namen …“
„T“: Wird sie bei der Verleihung des Servais-Preises für das Buch „Sibiresch Eisebunn“ anwesend sein, schließlich ist es Ihr Name, der die Autorenzeile schmückt …
G.R.: „Sie versucht zu kommen, hat aber Probleme mit dem Wagen. Deshalb könnte es sein, dass sie nicht anwesend ist. Das wäre sehr schade.“
„T“: Herr Rewenig, sind Sie Tania Naskandy?
G.R.: „Wer sagt denn so was?“
„T“: Die Jury des Servais-Preises …
G.R.: „Das freut mich, dass ich für Tania Naskandy gehalten werde. Das macht mir Spaß. Aber wer Tania Naskandy wirklich ist, werde ich jetzt nicht verraten, Sie werden sicher noch von ihr hören.“
„T“: Tania Naskandy hin oder her, was bedeutet für Sie die Auszeichnung für den Roman „Sibiresch Eisebunn“?
G.R.: „Der Preis bedeutet für mich, dass in der Jury Menschen sitzen, die gründlich und aufmerksam lesen. Diese Jury ist ein Konzentrat von guten Lesern. Deshalb freut mich der Preis. Er ist eine Anerkennung von Lesern. Die ‚Fondation Servais‘ setzt sich seit fast zwei Jahrzehnten wirklich ein für die luxemburgische Literatur.“
„T“: In Ihrem offenen Brief an Octavie Modert, der am Freitag im „Land“ erschien, bitten Sie die Kulturministerin mit klaren Worten und Argumenten, nicht an der Preisverleihung teilzunehmen. Ist das Fass übergelaufen?
G.R.: „Ich denke schon. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem sich überhaupt nichts mehr bewegt in Sachen Literatur. Und ich sehe nicht ein, wieso bei einer solchen Preisverleihung ein Staatsvertreter als reine Dekoration anwesend sein sollte. Das ist nicht mein Ding. Octavie Modert ist süchtig nach Fototerminen. Von Literatur versteht sie nichts. Eigenwerbung und Propaganda für die CSV möchte ich nicht bei der Preisverleihung. Die Menschen sollen kommen, weil sie ein Interesse an und ein Gespür für Literatur haben und nicht, um ein paar Floskeln zu streuen.“
„T“: Apropos Floskeln. Lassen Sie uns über Sprache reden. Die Sprachschlamperei ist ja einer der Vorwürfe, den Sie Octavie Modert machen …
G.R.: „Ich denke, eine Kulturministerin sollte rein sprachlich auf der Höhe sein. Das ist das Mindeste. Ein wenig rhetorisches Vermögen würde ihr schon etwas Anerkennung bei den Kulturschaffenden sichern. Aber ihre Reden sind katastrophal. Doch der Sprachverdruss ist ein allgemeines Phänomen in der Politik. Und diese Sprachschlamperei verweist auf weitere Schlampereien – bis hin zur Untätigkeit, so wie im Kulturministerium.“
„T“: Was ist der Grund für diese Untätigkeit, die Sie anprangern?
G.R.: „Ich denke, die Kultur ist bei einer konservativen Partei in schlechten Händen. Besonders bei einer katholisch-christlichen Partei, die von der Definition her schon nicht sehr offen und aufgeschlossen ist. Die Kultur ist kein Ressort für eine konservative Partei. Doch die CSV bringt es immer wieder fertig, sich die ideologisch besetzten Ministerien wie Kultur, Erziehung und Familie zu sichern. Gleichzeitig hat es die CSV aber nicht mehr nötig, sich anzustrengen. Sie ist automatisch da. Denn das konservative Naturell der Luxemburger kommt leider immer wieder hoch, wenn es hart auf hart kommt. Statt etwas zu wagen, suchen die Menschen nach Sicherheit.“
„T“: Könnte es die LSAP denn besser?
G.R.: „Das wage ich zu bezweifeln … Die LSAP schaut zu und nickt mit dem Kopf, leider. Sie müssten sich viel mehr wehren und Opposition innerhalb der Koalition machen. Doch ich kenne außerhalb der Parteien genügend interessante Menschen, die eine sehr gute Figur in dem Job als Kulturminister abgeben würden. Aber fatalerweise muss der Posten immer mit einer Person aus den Reihen der Koalitionsparteien besetzt werden.“
„T“: Haben Sie eine Zukunftsvision?
G.R.: „Vielleicht hat Frau Modert ja ein Einsehen und bewirbt sich nur mehr als Weinbauministerin. Das wäre ihr ideales Fachgebiet. In der Kultur müssen Leute sitzen, die Kultur schätzen und Ideen von Kulturschaffenden aufgreifen, ihre Kompetenzen anerkennen und weiter verarbeiten. Wir haben eine reine Verwaltung, die bremst und herabdrückt. Und das ist unter dem Regime von Frau Modert immer schlimmer geworden. Das Kulturministerium ist einfach faul. Denkfaul und reaktionsfaul.“
„T“: Würden Sie sich selbst als Querulanten bezeichnen?
G.R.: „Ja natürlich, mit Spaß und mit Freude! Das ist meine eigentliche Berufsbezeichnung. Ein Querulant mit den Mitteln der Sprache und innerhalb der Sprache mit den Mitteln der Ironie und der Satire, das bin ich.“
„T“: Was werfen Sie Frau Modert konkret vor?
G.R.: „Ich werfe ihr vor, dass sie sich nicht dafür interessiert, was sie auf staatlicher Ebene zu repräsentieren hat. Ihr Interesse ist gleich null, das zeigt sie mit jeder Ansprache, jedem Auftreten. Kultur interessiert sie nicht. Außerdem wird unter ihr auf absoluter Sparflamme gearbeitet. Der Verlag ultimomondo wartet immer noch auf eine Antwort, ob wir als unabhängiger Verlag in Zukunft nun die gleiche Unterstützung von Seiten des Staates bekommen wie andere Verlage auch, oder ob der Verlegerverband der einzige Ansprechpartner des Ministeriums bleibt, wenn es darum geht, luxemburgische Literatur im Ausland zu vertreten. Wir bekommen nicht einmal eine Antwort. Sie wissen nicht, was sie uns sagen sollen. Sobald es etwas kompliziert wird, geht gar nichts mehr.“
„T“: Wie geht es ultimomondo? Nach dem Tod von Roger Manderscheid ist ja eine der Seelen des Verlags weggebrochen …
G.R.: „Dem Verlag geht es gut. Und schon alleine aus dem Grund, um fortzuführen, was Roger aufgebaut hat, werden wir weitermachen. Im Moment hat der Verlag ein neues Problem. Wir haben einen Autor (Nico Graf), der nun schon zum zweiten Mal auf der sogenannten Bestsellerliste steht. Die Auflagen gehen weg wie heiße Semmeln, wir müssen ständig nachdrucken, das ist für uns tatsächlich ein logistisches Problem. Aber natürlich freut uns der Erfolg sehr.
Nun zu Roger: Er ist jetzt seit einem Monat tot. Ich bin voller Wut. Ich spüre an mir, dass vieles raus muss. Dieser Brief an Frau Modert ist natürlich ein Ausdruck davon. Roger hat ja gesehen, wie seine ganze Aufbauarbeit vor die Hunde geht. Er hat im Kulturministerium elementare Strukturen für die Förderung und Anerkennung von Literatur geschaffen. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, den Schriftstellerverband zu gründen. Und er war eine unwahrscheinliche Integrationsfigur. Ein sehr sensibler und feiner Mensch. Mit jedem. Mit Roger war es für mich wie Tandem fahren. Literarisch und freundschaftlich. Inhaltlich und emotional. Seit 40 Jahren. Jetzt ist das Tandem in der Mitte auseinandergebrochen und ich muss Einrad fahren. Da werde ich noch mehr als einmal auf die ‚Sabbel‘ fallen. Es ist hart und es bleibt hart.“
„T“: Woran arbeiten Sie gerade?
G.R.: „Im Oktober werden wir im Nationaltheater einen Abend als Hommage an Roger veranstalten. Ich arbeite gerade an einem Text für diesen Abend. Ein surrealer Dialog, wie Roger sie immer geschrieben hat. Titel: Baumballungsgebiet. Untertitel: Ein Manderscheidstillleben. Ich habe mich gefragt, was ich machen kann. Und ich denke, eine Hommage mit literarischen Mitteln hätte auch ihm am besten gefallen.“
Buch
Tania Naskandy
„Sibiresch Eisebunn“
ultimomondo
ISBN: 978-2-919933-61-7
Verleihung
des „Prix Servais“
am Montag, 5. Juli
um 19 Uhr
im „Centre national
de littérature“
2, rue Emmanuel Servais
L-7565 Mersch
www.cnl.public.lu
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