
Was das Neujahrkonzert für den Jahresanfang oder Wagners „Parsifal“ für Ostern ist, das ist Bachs Weihnachtsoratorium für die Weihnachtsfeiertage. In diesem Jahr wurden die Kantaten I-III und VI aufgeführt, was schade war, denn gerne hätte man Bachs Oratorium komplett gehört, zumal die Interpretation durch Le Concert Lorrain mustergültig war. Stephan Schulz, seit 2006 Chefdirigent des Barockensembles, hatte sich für eine durchgehend kammermusikalische und von feinsten Nuancen lebende Interpretation entschieden. Der exzellente Chor und die bestens aufeinander abgestimmten Instrumentalisten boten so eine vorzügliche und sehr ausgewogene Aufführung. Mit Guy Cutting, Evangelist und Tenor, und Matthias Helm, Bass, waren die beiden männlichen Solisten sehr stark besetzt. Cutting ist ein Evangelist, dessen schöne Stimme, wunderbare Phrasierung und perfekte Diktion an die großen Bach-Interpreten Ernst Haefliger, Peter Schreier oder Daniel Behle erinnert.
Sein nobler Tenor war eine Wohltat, doch auch Matthias Helms wendige Bassstimme ließ keine Wünsche offen und begeisterte durch eine perfekte Phrasierung und eine in allen Lagen gesunde, dynamische Stimme. Gegen diese beiden Sänger wirkten die zwei Damen etwas unterbesetzt. Griet de Geyter hat zwar einen sehr schönen Sopran, ihre leichte und eher kleine Stimme konnte das Auditorium der Philharmonie jedoch nicht ausfüllen. Ulrike Malotta besitzt eine angenehme Altstimme ohne wirkliche Durchschlagskraft, auch sie wäre demnach besser in einem kleineren Saal aufgehoben gewesen. Und wenn man wirklich eine Kritik anbringen muss, dann, dass der große Saal unserer Philharmonie für solche Aufführungen nicht geeignet ist. Insbesondere dann, wenn die Interpreten Feinstarbeit leisten. Somit wirkten viele gewollten Konturen zu weich, der Klang verlor sich und die Prägnanz der Aufführung ließ sich mehr erahnen als erleben. Trotzdem, es war eine hörenswerte Aufführung von Johann Sebastian Bachs hier leider gekürztem Weihnachtsoratorium.
Das Talent eines Grigory Sokolov zu erwähnen oder zu beschreiben, das hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Denn Sokolov ist ein Künstler, der wirklich einzigartig ist, und seine Solokonzerte sind seit Jahren absoluter Kult.
Der Meister spielt
Er erschien wie immer leise, bescheiden, fast unbemerkt auf der Bühne und scheinbar unbeeindruckt vom Applaus. Kurze Verbeugung. Dann spannungsgeladene Stille! Das Talent eines Grigory Sokolov zu erwähnen oder zu beschreiben, das hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Denn Sokolov ist ein Künstler, der wirklich einzigartig ist, und seine Solokonzerte sind seit Jahren absoluter Kult. Nicht anders war es bei seinem Konzert am 18. Dezember im großen Saal der Philharmonie, wo Sokolov diesmal mit den Duetten und der Partita Nr. 2 BWV 826 sowie der Sonate Nr. 13 KV 333 und dem Adagio KV 540 ein interessantes Bach-Mozart-Programm zusammengestellt hatte und das Publikum erwartungsgemäß auf eine ebenso atemberaubende wie inspirierende Reise durch das Universum dieser beiden Komponisten mitnahm. Denn alles, was uns Sokolov an diesem Abend bot, war außergewöhnlich und wie immer kaum in Worte zu fassen. Es ist so, wie wenn man an einem klaren Tag in den Himmel schaut und alle Sterne leuchten sieht, doch das Universum und die Unendlichkeit, die man mit dem Auge sieht, bleibt letztendlich unbegreiflich.
Bei Sokolov erlebt der Hörer Musik pur, die eigentlich anders gar nicht sein kann, wie sie gerade in diesem Moment unter seinen Fingern erklingt. Alles ist richtig, alles stimmt, es gibt keine falschen Affekte, keine aufgesetzten Emotionen, keine pianistische Show. Die Klarheit, mit der Grigory Sokolov Bach, aber auch Mozart erklingen lässt, ist von einer überragenden Schönheit, und das, ohne das der russische Meisterpianist auch nur versucht, die Musik zu interpretieren. Der Klang ist einfach da, die Musik scheint aus Sokolov herauszufließen und in ihrer schlichten Natürlichkeit jeden im Saal zu berühren – ja, ich denke, selbst die sich unkultiviert benehmenden, hartnäckigen und sehr respektlosen Huster erfahren hier, was Demut und Stille bedeuten können. Mögen sie sich ein Beispiel daran nehmen! Und welch ein Mut, das Konzert mit dem großen, tiefgründigen Adagio in h-moll KV 540 von Mozart ausklingen zu lassen. Eine unendliche Musik, die in ihrer Ernsthaftigkeit und Tiefe so kurz vor den Feiertagen wie eine Mahnung erscheint. Das Publikum war begeistert, die Standing Ovations mehr als angebracht, und wie meistens bedankte sich Grigory Sokolov seinerseits mit einem Bouquet an Zugaben. Sechs waren es diesmal, darunter Rameau, Purcell und Chopin. Schöner, intensiver und ehrlicher kann das Jahr musikalisch nicht ausklingen.
De Maart
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