Donnerstag30. Oktober 2025

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Klangwelten: Brillante Auswahl

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All killer, all brilliant

Von Jeff Schinker

Joe Haege ist für mich die Versinnbildlichung eines kompromisslosen, schrägen, exotischen Künstlers. Als er Teil der fantastischen Prog-Indie-Band 31 Knots war, stand ich mal während eines Konzertes in Paris neben ihm. Haege hatte sich wieder mal unters Publikum gemischt, um da wie eine Art Hexenmeister durch die Leute zu spuken. Neben uns blieb er stehen, zog tanzend seine Hose aus (er hatte an diesem Tag eine Vielzahl an Kleiderschichten an, die er nach und nach ablegte, um so ein passendes Outfit für fast jeden Song zu haben) und schwang sich wieder zurück auf die Bühne, um das Konzert so in einer Pyjamahose zu Ende zu spielen. Die Hose hat Joe nie mehr zu sehen bekommen, ein Fan hat diese in ihre Handtasche gesteckt und mitgenommen, der charismatische Sänger nahm’s mit leicht entnervter Gelassenheit.

Nachdem sich 31 Knots traurigerweise aufgelöst hatten und Haege sich die Zeit in verschiedenen kultigen Indie-Bands (Menomena, Tu Fawning) vertrieben hatte, entschied er sich, sein Soloprojekt Vin Blanc (später dann umbenannt in White Wine), das seinen Einstand parallel zum letzten 31-Knots-Album „Trump Harm“ (aus dem Jahr 2011, der Titel ist heute nahezu prophetisch) feierte, einer Professionalisierung zu unterziehen, und macht seither mit einer dreiköpfigen Live-Besatzung regelmäßigen Halt in Luxemburg, vorzugsweise im „Gudde Wëllen“.

Killer Brilliance, White Wines vierte LP, besteht aus neun traditionellen Songs, die von fünf experimentellen „Vignetten“ begleitet werden. Das titelgebende „Killer Brilliance“ überzeugt durch schnelle Drums, ein sehr tiefes Fagott, kurze Xylophon-Einlagen und eine wie zu Zeiten von 31 Knots schön vertrackte Struktur, über die sich Haeges prägende Gesangslinien legen.

„Abundance“ wirkt karg instrumentiert, ist dafür unheimlich catchy, was auch für „The Art of Not Knowing“ gilt, „I’d Run“ ist eine Bluesnummer, wie die Black Keys sie nicht mehr hinbekommen, die Kombinierung von Jahrmarkt und Gotik erinnert hier mitunter an Tom Waits, „Run Home“ und „7 Letters“ sind schön bedrohlich und bedrohlich schön. Die Songs klingen vielschichtiger als sonst, man hat den Eindruck, Haege ist jetzt mit White Wine genau dort angekommen, wo er immer hinwollte. Bleibt zu hoffen, dass man gleich wieder im „Gudde Wëllen“ ein Glas Weißwein mit Joe genießen kann.

The Greatest Gift indeed

Von Jeff Schinker

Als Sufjan Stevens dieses Jahr eine Live-Platte herausbrachte und verkündete, ein Mixtape mit unveröffentlichten Tracks, Demos und Remixen würde folgen, konnte man befürchten, hier würde jemand schamlos den Erfolg seines Überalbums „Carrie & Lowell“, das wenige Minuten nach seiner Veröffentlichung zu Recht zum zeitlosen Klassiker erkoren wurde, ausmelken.

Bei fast jedem anderen Künstler wäre es auch genauso gewesen – ein strenger Manager, ein Label, das vermarkten will, hätten hinter dem Vorhaben gestanden. Es ist also umso erstaunlicher, wie legitim diese weitere Veröffentlichung ist und in welchem Sinne sie das intime Universum, das „Carrie & Lowell“ umwebte, etwas aufbricht, ohne dem Album das Mysteriöse – seines Erfolges, der angesprochenen Themen – zu entnehmen.

The Greatest Gift eröffnet mit dem vorab veröffentlichten „Wallowa Lake Monster“, das eigentlich sowohl thematisch als auch musikalisch seinen Platz auf „Carrie & Lowell“ gehabt hätte. Es ist das stärkste der vier neuen Tracks, die hier vertreten sind, da es ausgefeilter als die drei anderen daherkommt. Was nicht bedeutet, dass letztere qualitativ abfallen würden: Das titelgebende „The Greatest Gift“ ist eine schöne akustische Nummer, die mit diskreten Klavierklängen aufgewertet wird, „The Hidden River“ und „City of Roses“ sind ausgezeichnete B-Seiten, die bei den meisten anderen Musikern A-Seiten wären. „Exploding Whale“ ist zwar streng genommen nicht neu, da es bereits als 7-Inch-Single veröffentlicht wurde.

Der hier vorhandene Doveman-Remix zeigt allerdings, wie grandios auch dieser Song ist. Die zwei „iPhone-Demos“ sind zwar etwas anekdotisch, dafür funktionieren die Remixe (von u.a. „Drawn to the Blood“, „All of Me Wants All of You“) aber ganz wunderbar – weil sie die Intimität der Songs bewahren und mit subtilen elektronischen Elementen verzieren.
Neben dem Live-Album und seinem „Planetarium“-Projekt mit u.a. Bryce Dessner von The National ist dies bereits Sufjans dritte ausgezeichnete Veröffentlichung des Jahres. Bleibt nur zu hoffen, dass bald ein „richtiges“ neues Album folgen wird.

Liebeserklärung an Bach

Von Alain Steffen

Kurz nachdem ihre erste Bach-CD bereits auf Anhieb für den ICMAward in der Gattung Konzerte nominiert wurde, erscheint nun eine weitere CD mit Werken von J.S. Bach der luxemburgischen Pianistin Sabine Weyer, diesmal allerdings mit Solowerken. Das Besondere daran: Bis auf die Französische Suite Nr. 2 BWV 813 handelt es sich ausnahmslos um Transkriptionen. Und es sind Transkriptionen von drei Komponisten aus verschiedenen musikalischen Kulturkreisen, nämlich von dem russischen Pianisten Alexander Siloti, den Franzosen Camille Saint-Saëns und dem Italiener Feruccio Busoni. Das Programm dieser CD ist sehr gut konzipiert, angefangen mit dem düsteren Choral Ich ruf zu dir über die herrliche Französische Suite Nr. 2 bis hin zu der schönen und stimmungsvollen Saint-Saëns-Adaptation von Bachs Largo aus der 3. Sonate für Violine. Es ist eine Reise vom Schatten ins Licht und auf dieser Reise begegnet der Hörer wundervollen Adaptationen von u.a. mehreren Chorälen, dem Air aus der Orchestersuite Nr. 3 oder der Bourrée aus der Partita Nr. 1 für Violine.

Sabine Weyer spielt alle Transkriptionen mit größter Hingabe und legt sehr viel Wert auf Emotionalität. Dabei sind ihre Interpretationen nicht zu romantisch – sicher, vieles klingt weich und rund, und so ist es auch gewollt –, aber die luxemburgische Pianistin koppelt die Emotionalität immer sehr eng an den architektonischen Ablauf. Ihr Spiel ist nicht nur tief empfunden, sondern glasklar in Stil und Linienführung, und virtuos, dort, wo es sein muss. All diese Ingredienzen werden zusammen mit einem untrüglichen Gespür für Farben zusammengemischt, so dass der Hörer einen in allen Hinsichten überragenden, konzeptuellen und intelligenten Bach in überragender Klangqualität erlebt.
Bach to the future, so der Titel, ist demnach eine wahre Liebeserklärung an den Komponisten und seine Musik. Besser, schöner, intensiver und leichter kann man diese Musik nicht spielen.