Donnerstag6. November 2025

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Klangwelten: Blues, Postcore und mehr

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Belgien hat den Blues

„Was Bluesmusik angeht, so ist Guy Verlinde Belgiens ganzer Stolz“, heißt es auf der Website „Blueslawine“.

Vor ein paar Monaten „wunderten“ wir uns noch über Blues aus Belgien, als wir Ghalia Vauthier und ihr Album „Let The Demons Out“ vorstellten. „Wundern“ war selbstverständlich ironisch gemeint, warum sollte es keinen guten Blues bei unseren belgischen Nachbarn geben? Doch zugegeben, mit Belgien assoziiert man doch eher gutes Bier und Pommes frites. Der aus Brügge stammende und heute in Gent lebende Guy Verlinde ist beileibe kein Unbekannter in der belgischen Bluesszene, steht er doch schon 20 Jahre auf der Bühne. 2011 gewann er den „Blues Award“ und vertrat sein Land 2012 beim „European Blues Challenge“.
Das Album heißt „X“ (10), da es zehn Nummern enthält, größtenteils Songs, die die Band bis dato nur live aufgenommen hatte. Verschiedene Einflüsse hört man aus den Songs heraus: Man denkt an die „Eagles“, an Delta Blues und Country Music, vor allem der letzte genannte Einfluss ist am deutlichsten rauszuhören. Ein Country-Album ist es deswegen aber noch lange nicht, dafür sorgt Verlinden schon: raue Bierstimme, gefühlvolle Slidegitarre und eine – leider zu selten eingesetzte – Bluesharp. Verlinde ist auf beiden Instrumenten ein Meister, doch nie macht er auf Gitarrenhero oder Harpwunder. Sein Spiel steht stets im Dienst der Band. So weist keiner der Songs z.B überlange Gitarrensoli auf, wie man das von Wunderkindern wie Joe Bonamassa gewohnt ist. Darüber hinaus zeugt das Album vom Variantenreichtum der Band. Hier drei Beispiele: Der erste Song des Albums ist eine Zydeco-Nummer (ein Musikstil der französischsprachigen Cajuns im amerikanischen Louisiana): „Bon ton roulet“ – in richtigem Französisch „(laissez) le bon temps rouler“, eine Coverversion eines Titel aus den 1940ern. „Ain’t no Sunshine“ ist zwar eine weitere Coverversion des Songs, doch die Interpretation von Bill Withers Welthit ist zu schön, um nicht gehört zu werden. Mit „Do that Boogie“ überrascht die Band mit einer Rockabilly-Nummer. Die Beispiele zeigen, wie die Gruppe verschiedene Stile beherrscht, und doch eine eigene Identität besitzt. Vor allem Verlindes Stimme trägt das Ihrige zu dem einzigartigen Sound bei, trotz leichtem Akzent, was aber unwichtig ist: Die Stimme passt zur Musik wie die Faust aufs Auge. c.mol.


Lagerfeuerlieder für depressive Pfadfinder

Vor langer Zeit waren Biffy Clyro mal die ungestüme Hoffnung des Postcore. Nun soll das schottische Trio die MTV-Unplugged-Reihe wiederbeleben. Mit einer blutarmen Songauswahl gelingt dies allerdings nicht.
Mit ihren drei ersten Alben, allen voran dem frühen Meisterwerk „Infinity Land“ (2004), gelang Biffy Clyro der Spagat zwischen Wucht und Melodie vorzüglich. Auf dem vierten Album „Puzzle“ (2007) funktionierte das Pendeln zwischen Mainstream-Hymnen und den wagemutigen Rhythmen der frühen Tage noch recht gut, kurz danach dachte Sänger und Gitarrist Simon Neil, es wäre eine gute Idee, das Erfolgsrezept der Foo Fighters zu kopieren. Die Songs wurden fortan simpel gestrickt, Komplexität wurde verbannt, der schottische Akzent hauptsächlich in den Vordergrund geschoben, damit man die Band überhaupt noch von Dave Grohls radiokompatibler Musik unterscheiden konnte. Live konnte das Trio immerhin die Wucht der frühen Tage erhalten. Auf den 15 Songs dieses Unplugged-Konzerts, das im Londoner „Roundhouse“ vor 3.300 Biffy-Fans eingespielt wurde, weicht nun auch diese Restenergie, wie es das Unplugged-Prinzip ja so will, einer Reduzierung der Songs auf das Wesentliche. Da die Band aber ihre ersten drei Alben gänzlich ausklammert, entblößen sich die hier vorgestellten Biffy 2.0-Songs als oftmals banale Lagerfeuerlieder für etwas depressive Boyscouts. Das schon auf dem letzten Album „Ellipsis“ recht peinliche „Re-Arrange“ wird auch in der akustischen Version nicht besser, Hymnen wie „The Captain“ funktionieren ohne Schmackes schlicht nicht und Highlights wie „Mountains“ oder „Bubbles“ klingen zwar auch hier toll, stellen aber im Vergleich zur Studioversion keine Bereicherung dar. Da sich die Setlist sowieso an den ruhigeren Tracks abarbeitet, wirkt die Umsetzung zudem meist überraschungsarm. All denjenigen, denen Biffy auf denen letzten Platten immer noch zu laut waren, kann man dieses Unplugged durchaus empfehlen – aber die hören vielleicht sowieso lieber Coldplay. Jeff Schinker


Definitiv keine Resteverwertung

John Maus veröffentlicht eine Lo-Fi-Fußnote zu seinem Vorgängeralbum – und bietet wieder jede Menge verschrobene, detailverliebte Songs, die ihr Hitpotenzial unter flirrenden Sounds und käsigen Synthies verstecken.

Als der exzentrische John Maus letztes Jahr sein Album „Screen Memories“ veröffentlichte, merkte der Musiker, dessen kryptischen Texte von Fans oftmals in ganzen Thesen auseinandergepflückt werden, dass er Material für zwei Alben aufgenommen hatte.

„Addendum“ bietet folglich mehr vom selben – stilistisch hebt sich die Platte kaum vom Vorgänger ab, abgesehen davon, dass das übliche Sammelsurium an barocken Songs, die mit wunderbar cheesy Keyboards, Plastikbeats, Baritonstimme, flirrenden Geräuschen und New-Wave-Bass angereichert sind, hier wieder mehr nach Schlafzimmerproduktion – sprich weniger poliert – klingt. Die Platte ist weniger ein durchdachtes Album als eine bunte Sammlung von Songs und Klängen. Die unfertige Dimension dieses Addendums – instrumentale Fragmente wie „Drinking Song“ stehen neben Songs wie „Figured it out“, die wie Momentaufnahmen wirken – macht sowohl den Charme als auch die Beschränkung einer Platte aus, die mit Tracks wie „Outer Space“, „Dumpster Baby“ und „Mind the Droves“ dann einige unauffällige, aber verdammt clevere Hits beinhaltet. js


Gute Onkels

Unkle haben schon mit Josh Homme, Massive Attack und Thom Yorke zusammengearbeitet. Eine Live-Platte bietet nun eine interessante Werkschau.
Unkle gehören zu den am meisten unterschätzten englischen Bands überhaupt. Als Mastermind James Lavelle damals mit dem Elektro-Wunderkind DJ Shadow eine erste, beat-orientierte Platte herausbrachte, waren die Echos auch aufgrund der ausgezeichneten Zusammenarbeit mit Thom Yorke („Rabbit in your Headlights“) durchaus positiv. Beim zweiten, elektronischeren Album war die kurzlebige Kritikeraufmerksamkeit damit beschäftigt, junge Indiebands zu hypen – dass auf der Scheibe Massive Attack und Josh Homme auf ausgezeichneten Songs mitwirkten, ging leider etwas unter. Unkle störte dies nicht, das Kollektiv um James Lavelle veröffentlichte ganz abseits jedes Zeit- und Erwartungsdrucks drei durch die Bank sehr gute Platten.
„Live on the Road“ bietet nun mit 17 Songs eine zwar sehr interessante Werkschau, die Highlights aus fast allen Epochen (unverständlicherweise gibt’s keinen Song von „Where did the Night Fall“) zusammenführt und auch klanglich für eine Live-Aufnahme ordentlich klingt. Unkle funktionierten aber immer schon am besten im Albumformat, sodass sich dieses Best-of eigentlich optimal als Teaser eignet.
Jeff Schinker