Der menschliche FortschrittGrenzgänger Alex Garland (Teil 2)

Der menschliche Fortschritt / Grenzgänger Alex Garland (Teil 2)
Ein Meister der Grenzüberschreitungen: der Regisseur Alex Garland Foto: AFP/Valérie Macon

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In der Welt von Alex Garland, wo Maschinen ein Bewusstsein entwickeln, Männer sich in ihrer Abscheulichkeit immer neu gebären, wo zwischenmenschliche Beziehungen nicht mehr richtig abgeschätzt werden können, kommt es immer wieder zu Grenzüberschreitungen. Zum Kinostart seines neuen Films „Civil War“ sollen diese Grenzerfahrungen näher beleuchtet werden.

Der 53-jährige britische Regisseur Alex Garland, der seine Filme immer wieder als Ideen- und Thesenfilme beworben hat, stellte mit nur zwei Einträgen in das Genre die großen Sinnfragen, deren sich die Science-Fiction immer schon annahm. Er zeigt immer den Kipppunkt, dort, wo die Grenze erreicht ist – es geht immer um die menschliche Hybris, um die Überschreitung. Er beschreibt in seinen Filmen sehr apokalyptische Szenarien, Garland ist ein zweifelnder Beobachter des menschlichen Fortschritts: des technologischen („Ex Machina“, 2014) sowie des Anthropozäns („Annihilation“, 2018) – und des gesellschaftlichen Rückschritts: in Form der patriarchalen Hegemonie („Men“, 2020) und in Form der innerstaatlichen Kriegsgewalt („Civil War“, 2024). Gerade seine beiden letzten Filme entfernen sich stärker von der technologischen und ökologischen Dimension seiner Arbeiten.

„Men“: Künstlerische Plakativität

Mit seinem letzten Film „Men“ begab sich Garland auf das Problemfeld der männlichen Macht- und Geschlechtsentwürfe, sich präzise am Zeitgeist aus „#metoo“ und toxischer Männlichkeit orientierend. Wieder steht da ein Trauma als Auslöser: Um den Suizid ihres Mannes zu verarbeiten, zieht Harper (Jessie Buckley) aus ihrem Londoner Appartement in ein großes Anwesen auf dem Land um. Was als idyllischer Rückzugsort zur Rehabilitation angedacht ist, entpuppt sich jedoch jäh als Albtraum: Als es zu immer wiederkehrenden sonderbaren Begegnungen mit mehreren Männern kommt, die alle dem Vermieter des Landhauses (Rory Kinnear) sehr ähnlich sehen, zweifelt Harper an ihrem gesunden Menschenverstand. Dabei präsentiert sich die Hinreise mit dem Auto durchs ländliche Idyll noch recht unbeschwert. In seiner Anfangssequenz schmettert uns Lesley Duncan ihren Musiktitel „Love Song“ entgegen:

„You say it’s very hard
To leave behind the life we knew
But there’s no other way
And now it’s really up to you.“

Dieser zu Beginn eingestreute Liedtext ist programmatisch für die angestrebte Plakativität, mit der Garland in diesem Film vorgeht. Als Filmgenre wäre „Men“ wohl als psychologischer Horror zu begreifen, der Elemente des Folk-Horrors einschließt. Die übernatürlichen Erscheinungen sind denn auch nicht realweltlich verankert, es sind die inneren Dämonen Harpers, die für sie äußere Gestalt annehmen. Ein Themenkomplex aus Tod, Trauma, Schuld und Verdrängung wird da offenbar, die Garland ästhetisch mittels symbolträchtiger Bilder, sakralem Kirchenchor und eindringlich-grellen Farben verdichtet: Stechendes Grün, blasses und warmes Rot dominieren die Farbpalette. An den großen philosophischen Sinnfragen des Menschseins und seiner Grenzüberschreitung in einem Zeitalter, wo alle technologischen und ökologischen Grenzen überschreitbar sind, ist der Brite hier wenig interessiert und doch ist sein assoziatives Verästelungsprinzip erkennbar. Wieder gibt es ein Zitategeflecht, das Bezüge zum Mythischen herstellt: Da gibt es die Erbsünde oder noch den Naturgott Pan. Sie stehen für eine archaische, rückwärtsgewandte Mystik, die Garland zwar ästhetisch eindrucksvoll stilisiert, im Kern jedoch als primitiv kennzeichnet.

Garland nutzt die Plakativität als Stilmittel; sein Film ist plakativ, weil die Männerwelt, die er zeigt, plakativ ist – die Misogynie, die hier gezeigt wird, nährt sich aus einer plumpen Täter-Opfer-Umkehrung. Garland beschreibt diese (Un-)Möglichkeit des Zusammenseins als einen Zustand permanenter zwischenmenschlicher Grenzüberschreitungen. Er will ferner die Emanzipationsbewegung in spannungsvoll aufgeladenen Bildern erzählen, in diesem Zuge schleicht sich dennoch die klischierte Darstellung der Frau als „final girl“ gleichsam durch die Hintertür wieder hinein: Harper ist eine allem Anschein nach determinierte, eigenwillige Frau, die sich von der toxischen Männlichkeit befreien möchte, sich dennoch nahezu ausschließlich über diese definiert. „Men“ zeigt das Patriarchat als einen nie enden wollenden Zyklus, als ewige Wiedergeburt, im Wortsinne: Wir sehen Männer, die sich immer neu gebären, ein Vorgang, der sich ins Groteske steigert und in ein blutiges Finale mündet. Auslöschung auch hier.

Die Heimsuchung: „Civil War“

Die Männer als vermeintliche „Herren der Schöpfung“, die Garland in „Men“ noch dekonstruierte, sind auch der Ausgangspunkt seines neuen Films: Der Präsident der Vereinigten Staaten richtet sich an das Volk, seine Rede studiert er vorerst noch ein, er verspricht den bald bevorstehenden Sieg, derweil auf den Straßen immer noch der Ausnahmezustand herrscht. Die menschliche Verrohung, die Abstumpfung wird da ansichtig. Garland montiert Bilder der innerstaatlichen Kampfhandlungen in die Rede des Präsidenten mit ein: da die politische Lüge, da die harsche Realität. In „Civil War“ nämlich ist ein Bürgerkrieg in den USA entflammt, dessen Umstände Garland nicht näher beleuchtet. Die dritte Amtszeit des Präsidenten oder noch die Auflösung des FBI sind lediglich Hinweise darauf, dass das staatliche Rechtssystem in dieser nahen Zukunftsvision aus den Fugen ist. Die Reuters-Fotografin Lee (Kirsten Dunst) und der Reporter Joel (Wagner Moura) machen sich auf den Weg, um Washington, D.C. zu erreichen, bevor es in die Hände einer Rebellengruppe fällt. „Civil War“ ist sowohl ein Kriegsfilm als auch ein Roadmovie – doch als politische Aussage über die aktuelle Lage der Vereinigten Staaten lässt sich der Film nicht gänzlich lesen.

Da gibt es Bilder der Erstürmung des Weißen Hauses, die freilich an den Marsch auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 erinnern, doch Garland unterdrückt jede Hintergründe, „Civil War“ liefert so keinen Aufschluss über die genauen politischen Motivationen, die zu den Kriegshandlungen führen. So umgeht Garland den Vorwurf der Parteilichkeit. „What kind of an American are you?“, heißt es an einer Stelle. In „Civil War“ kämpfen nicht Demokraten gegen Republikaner, es geht Garland einmal mehr um den Kipppunkt: zu zeigen, wie westliche Demokratien zusammenbrechen, wenn die Positionen unüberbrückbar weit auseinandergegangen sind. Sein Film beginnt „in medias res“, sein Publikum in das unmittelbare Geschehen hineinzuwerfen, ist Garlands Anliegen. Über diese Unmittelbarkeit und die Fokussierung auf die Journalisten wirft er, der Thesenhaftigkeit seines Werkes entsprechend, vielmehr Fragen auf über die Ethik der Medien, die mediale Repräsentation der Kriegshandlung, deren Einfluss auf die Geschichtsschreibung. Es sind beispielsweise die Kriegsbilder aus dem Kosovo oder noch Vietnam, die einem da ins Bewusstsein gerufen werden – die Bilder brechen nun gleichsam über die USA selbst hinein. In diesem Sinne der „medialen Heimsuchung“, der Konfrontation mit einem ikonografisch gewordenen Bilderkatalog, die auch den US-Imperialismus in seiner medialen Diffusion als fragwürdig offenlegen, ist „Civil War“ freilich noch provokativer als „Men“ – zumal er symbolträchtige Assoziationen und mythisches Potenzial fast gänzlich ausspart. Und doch geht es Garland auch hier um die Grenzüberschreitung: Wie weit darf journalistische Berichterstattung gehen? Ab wann gewinnt der Sensationalismus die Oberhand über die Moral? Garland kann und will diese Fragen nicht beantworten.

Mit nur vier Spielfilmen ist Alex Garland zu einem sehr singulären Filmemacher des US-amerikanischen Kinos geworden. Die offenkundige Anbindung an das Genrekino, seine semantischen Felder, seine narrativen Bögen verleihen den Filmen Garlands die Dimension der sofortigen Einordnung, nicht aber der direkten Lesbarkeit. Seine Filme halten immer neue Ebenen bereit, sie binden sich klug an die Gegenwart an – verstörend, subversiv, plakativ und provokativ.

Grenzgänger Alex Garland

Dieser Text ist der zweite und letzte Teil einer Serie über den Regisseur Alex Garland von Marc Trappendreher. Der erste Teil erschien am Freitag.

Tom Haas
23. April 2024 - 21.00

Guten Tag, vielen Dank für den Hinweis, den Artikel hatte unsere Website am Mittwoch beim Relaunch verschluckt. Hier finden Sie den ersten Teil des Artikels: https://www.tageblatt.lu/kultur/grenzgaenger-alex-garland-teil-1/ Mit freundlichen Grüßen Die Redaktion

Michael
23. April 2024 - 20.45

Hallo Wenn das Teil 2 über Garland ist, wo ist Teil 1? Über die Suche kann man nichts finden.