Casey Han ist nicht wie die anderen aus der New Yorker High Society. Aber sie wäre es gerne. Ihren Platz in Princeton bekam sie nur dank eines Stipendiums. Aufgewachsen ist sie in Queens, als älteste Tochter koreanischer Einwanderer. Ihre Eltern betreiben eine Wäscherei. Beide arbeiten hart und leben nach streng christlichen Idealen. Casey, die nicht in Südkorea, sondern in New York aufgewachsen ist, hat sich dagegen emanzipiert. Und so kollidiert ihre Lebensrealität immer wieder mit der ihrer konservativen Eltern.
Generationenstreit
Das Unvermeidbare nimmt seinen Lauf, als ein Streitgespräch zwischen Casey und ihrem Vater eskaliert. Mister Han erwartet, dass seine Tochter unmittelbar nach ihrem Elite-Uni-Abschluss einen Job findet, der ihr finanzielle Sicherheit bietet. Casey möchte jedoch einen anderen Weg einschlagen und sich vor allem nicht unter Wert verkaufen. Als ihr Vater schließlich handgreiflich wird und sie aus dem Elternhaus wirft, weiß sie, dass sie nie wieder zurückkehren wird, obwohl sie keinen Cent in der Tasche hat.
Fortan hangelt sie sich von einem Job zum nächsten, und ist auf die Hilfe von Freunden und Arbeitskollegen angewiesen. Ihr Lebensweg ist gezeichnet von Erfolgen und Misserfolgen. Doch es ist stets die Shopping-Sucht, die ihr einen Strich durch die Rechnung macht. Durch ihr sehnsüchtiges Verlangen dazuzugehören, legt Casey sich immer wieder Designer-Klamotten zu, die sie sich schlichtweg nicht leisten kann.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen
Autorin Min Jin Lee lässt Casey jedoch nicht als einsame Heldin durch die Geschichte laufen, sondern webt ein komplexes Netz aus Nebenfiguren, die alle ihre eigenen Kämpfe führen. Dabei stellt Lee Abhängigkeiten, Machtverhältnisse und Formen der Ausbeutung, denen Frauen im universitären und beruflichen Umfeld ausgesetzt sind, deutlich heraus. Die Autorin geht auf die Problematik der Klassenzugehörigkeit – auch innerhalb der koreanisch-amerikanischen Community – ein und verdeutlicht, wie schnell Integration zur Assimilation wird, wie Tradition und Leistungsdruck kollidieren, und dass Selbstverwirklichung in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft oft nur ein anderes Wort für soziale Entfremdung ist.
Biografien
Min Jin Lee (Autorin)
Min Jin Lee, 1968 in Seoul (Südkorea) geboren, wanderte im Alter von acht Jahren mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten aus. Sie studierte in Yale und arbeitete als Juristin, bevor sie ihr erstes Buch veröffentlichte. Ihr Debütroman „Free Food for Millionaires“ wurde zu den zehn besten Romanen des Jahres gezählt. Ihr zweites Buch, „Ein einfaches Leben“, war Finalist für den National Book Award und erreichte die Spitzenplätze auf den US-Bestsellerlisten. Heute lebt Min Jin Lee in New York.
Vanida Karun (Sprecherin)
Vanida Karun, 1979 in Cuxhaven geboren, studierte Schauspiel in Hamburg und Sprechwissenschaft in Münster. Sie engagiert sich regelmäßig bei der „Bühne für Menschenrechte“ und ist einem breiten Publikum durch Auftritte in bekannten Fernsehformaten wie dem „Tatort“ sowie durch Kinoproduktionen bekannt. Als Hörbuchsprecherin deckt sie ein breites Spektrum an Genres ab. Neben ihrer Tätigkeit am Mikrofon arbeitet Karun auch als Regisseurin im Tonstudio.
Kritikpunkte
Im Feuilleton wurde Min Jin Lees Erstlingsroman vielfach für die vermeintliche Mangelhaftigkeit der Charakterentwicklung und die Orientierungslosigkeit seiner Hauptfigur kritisiert. Auch die Unvollständigkeit einiger Handlungsstränge fiel den Rezensentinnen negativ auf. Doch sind es nicht gerade diese Dinge, die Roman und Realität näher aneinander rücken lassen? Ist es nicht gerade das Ungewisse, das das Leben vieler Menschen prägt? Die Fragen, ob man richtig „abgebogen“ ist, die eigenen Entscheidungen die richtigen sind, und die Erkenntnis, dass nicht jede Handlung sofort ein greifbares Ergebnis liefert?
Womöglich macht die Hörbuchadaptation hier einen wesentlichen Unterschied: Sprecherin Vanida Karun verleiht dem Text mit ihrer einfühlsamen Lesart eine Tiefe, die eventuell bei der reinen Lektüre verloren geht. Dank ihrer Performance wird das Audiobook, mit einer Laufzeit von rund 25 Stunden, zu einer Art Begleiter im Alltag. Vielleicht ist es die persönliche Perspektive des Hörens, die Caseys Geschichte greifbarer macht – als würde sie nicht nur erzählt, sondern tatsächlich erlebt.
„Gratisessen für Millionäre“ von Min Jin Lee, der Hörverlag, Laufzeit: 25 Stunden, Mai 2023
De Maart
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