Mittwoch5. November 2025

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Heute auf den Tag genau vor 40 Jahren ist der erste Artikel von Guy Wagner im Tageblatt erschienen. Es folgten unzählige mehr. Mit uns sprach er nun darüber, wie sich der Journalismus in den letzen vier Jahrzehnten verändert hat, welches seine interessantesten Begegnungen waren, wie „kulturissimo“ entstand und wen er heute gerne interviewen würde ...

 

Tageblatt: Wie kam es dazu, dass Sie 1970 begannen, für das Tageblatt zu schreiben?
Guy Wagner: „Ich hatte bereits einen fast zehnjährigen Weg als Schreiber hinter mir, im Land und im Wort. 1969 kam es zur radikalen Wende in meiner Existenz, während der ich mein bisheriges Leben und Denken infrage gestellt und einen Neubeginn auf agnostischer und politisch linker Basis gewagt habe. Die damalige Sekretärin des Tageblatt, Odette Waldbillig, hat mich ins Haus gebracht, und Jacques F. Poos hat sich mir gegenüber als fördernder Direktor gezeigt. Übrigens war ich auch, 27 Jahre später, ab der ersten Nummer von Le Jeudi, von April 1997 bis 2000 dabei.“

„T“: Worüber berichteten Sie in Ihrem ersten Artikel?
G.W.: „Alles begann mit Musik… natürlich, da die Musik so viel in meinem Leben bestimmt hat. Der damalige sowjetische Botschafter hatte zu einem Konzert zu Lenins 100. Geburtstag in die Escher ’Maison du peuple’ eingeladen. Es gab ein hervorragendes Recital mit russischen Melodien, gesungen von der Botschaftergattin, Frau Valentina Kossareva-Klepatzkaja, einer brillanten Mezzosopranistin. Die Besprechung dieses Abends steht am Beginn der nun 40-jährigen Mitarbeit.“

„T“: Sie zählen zu den alten Hasen des Journalismus in Luxemburg. Können Sie sich noch daran erinnern, ob Sie Ihr erster journalistischer Auftrag nervös machte?
G.W.: „Nervös bin ich nie bei einem Auftrag gewesen. Ich bin ja Menschen gegenüber gestanden, keinen Raubtieren. Aber darf ich überhaupt als ’Journalist’ bezeichnet werden? Ich bin Lehrer und Theaterdirektor gewesen, bin weiterhin Schriftsteller, habe aber nie eine Pressekarte gehabt.
Reiche Erfahrung im Schreiben für die Zeitung, sowohl was Kultur als auch was Politik angeht, habe ich allerdings gemacht, und die Arbeit für das Medium Presse hat mich sehr viel gelehrt, gerade auch was das Schreiben an sich angeht. Ich bin überzeugt, dass ich mich als Autor von Belletristik und Sachbüchern nicht so gut hätte behaupten können, ohne die vielseitige Erfahrung, die ich im Tageblatt gemacht habe. Vor allem, was die Konzentrierung auf das Wesentliche und die Schnelligkeit und Prägnanz im Formulieren betrifft, ist das Journalisten-Metier eine wahre Schule des Schreibens.“

„T“: Eine Mammutfrage, aber was sind für Sie die größten Unterschiede zwischen dem Journalismus aus den siebziger Jahren und dem von heute?
G.W.: „Beginnen wir mit dem rein Technischen. Damals gab es nur Handschrift, Schreibmaschine … und noch Telex, aber wer hatte schon so was? Kein Fax, kein Computer, kein E-Mail, kein Internet, kein Wi-Fi, kein SMS, kein Handy standen zur Verfügung. Es war noch die Zeit des Bleisatzes: Der aktuelle T-Redaktionsraum beherbergte alle technischen Einrichtungen. Da ich damals in Esch lebte, brachte ich meine Texte per pedes hin. Oft war ich in diesem Raum, um zu sehen, wie die Virtuosen an den Setzmaschinen arbeiteten, wie die Seiten aufgebaut wurden, wie man dies und das besser gestalten konnte. Das war vor allem der Fall, wenn es um Le Phare, die wöchentliche kulturpolitische Beilage, ging, deren letzten drei Jahrgänge, von 1974 bis 1976, ich mit Mars Klein betreute, oder um die satirische ’Péckvillchen’-Beilage, die ich mit dem leider verstorbenen Roland Goerens und dem hochbegabten Karikaturisten und Maler Alphonse Hutsch von September 1972 bis April 1975 veröffentlichte.

Die materiellen Einengungen gingen einher mit Einengungen im Schreiben. Die Seitenzahlen waren weit geringer, die Artikel daher zumeist auch kürzer, es gab viel weniger Bilder, wohl kaum je eines, das je eine halbe Zeitungsseite füllt, und sie waren schwarz-weiß: Die Fotoreporter hatten noch ihr persönliches Labo. Oft war ich beim damaligen Starfotografen Roby Raus, mit dem ich eine Anzahl von Reportagen gemacht habe, in der Dunkelkammer und faszinierte mich am Schauspiel eines Bildes, das langsam auf dem Fotopapier auftauchte. Seit seinen Anfängen hatte das Tageblatt gute Journalisten und ist stets eine engagierte Zeitung gewesen. Dies galt besonders in den 70er Jahren, als es zur Spaltung der LSAP kam und zum Kulturkampf mit der Rechten über Zensur, Scheidung, Abtreibung, Liberalisierung des Justizvollzugs, Abschaffung der Todesstrafe. Die Hasskampagnen der damaligen Wort-Leitung gegen alles Linke und insbesondere gegen Minister Robert Krieps waren abscheulich, und wir schlugen zurück, so gut wir konnten. Ich sage ganz bewusst das solidarische ’wir’, und dass es zur ersten Mitte-links-Koalition hierzulande kam, ist zweifellos auch ein Verdienst des Tageblatt gewesen.“

„T“: Wie hat sich vor allem auch der Kulturjournalismus verändert?
G.W.: „Die Kulturredaktion war sehr klein, kleiner noch als heute, aber es gab mehr freiwillige Mitarbeiter als nun, die oft schon durch ihren Beruf überaus kompetent waren und versuchten, ’der Sache auf den Grund zu gehen’. Man muss natürlich auch sagen, dass das damalige Kulturangebot höchstens ein Viertel des aktuellen darstellt. Heute kann keine Redaktion mehr über alle Veranstaltungen und Darbietungen berichten, die tagtäglich stattfinden.“

„T“: Und wie steht es um „kulturissimo“, der ja Ihr Kind ist?
G.W.: „kulturissimo ist ein Zeitungskind des Kulturjahres 1995, das auf Wunsch von Direktor Alvin Sold nach dem Jahr weiterleben sollte und 2001 zu einer monatlichen Beilage geworden ist, die laut Premier Juncker ’bemerkenswert’ ist. Und nun, da die ’Viererbande’ Ariel, Janina, Emile und ich sie monatlich gemeinsam gestalten, ist sie für viele ein unerlässliches Forum geworden, dessen Resonanz weit über die Landesgrenzen hinausgeht. Dass ich als einer der Väter von kulturissimo gelten darf, ist der große Stolz meiner Mitarbeit im Tageblatt.“

„T“: Jeder Journalist ist nicht nur dem Pressekodex seines Landes verpflichtet, sondern hat auch eigene ethische Richtlinien. Wie würden Sie Ihre definieren?
G.W.: „a) Weder mit den Wölfen heulen, noch mit den Schafen blöken. b) Den Kampf aufnehmen gegen Unmenschlichkeit, Ungerechtigkeit, politische Arroganz und Maßlosigkeit, und vor allem gegen religiösen Fanatismus und Intoleranz. c) Die Wahrheit schreiben, auch wenn sie wehtun muss. d) Falls ein Irrtum vorkommt, sofort bereit sein, ihn zuzugeben.“

„T“: Mit Ihrer bissigen Feder haben Sie sich sicherlich nicht immer nur Freunde gemacht. Welche Ihrer Artikel sorgten besonders für Aufregung?
G.W.: „Oh nein, das merke ich noch heute! Einen speziellen Artikel möchte ich daher auch nicht nennen, sondern meine jahrelange Kolumne ’Qui s’y frotte s’y pique’ hervorheben, die besonders das Wort in Rage brachte, in dessen Redaktion man mich jahrelang konsequent aus Fotos herausschnitt, auf denen ich hätte erscheinen müssen. Dem möchte ich allerdings hinzufügen, dass sich diese Rage großenteils gelegt hat. Sowieso glaube oder zumindest hoffe ich, dass die Grabenkämpfe der 70er und 80er Jahre aufgehört haben.“

„T“: In 40 Jahren haben Sie bestimmt viele besondere Menschen kennengelernt. Welche waren Ihre interessantesten Begegnungen, Reportagen, Interviews?
G.W.: „Es hat sehr viele Begegnungen gegeben; die wichtigste ist allerdings die mit Mikis Theodorakis. Aus ihr ist eine Freundschaft erwachsen, die eine der großen Bereicherungen meines Lebens darstellt.
Einige Gespräche möchte ich auch noch anführen: Ich bin der einzige hierzulande, der Interviews mit Swjatoslaw Richter, Bernhard Minetti, Madeleine Renaud, Georges Brassens, Jean-Louis Barrault, Luigi Nono hatte; das mit Nono wurde sogar in der wichtigsten Biografie des bedeutenden italienischen Komponisten (von Jürg Stenzl, Atlantis Verlag) abgedruckt.“

„T“: Wen würden Sie heute gerne zu einem persönlichen Interview treffen? Und warum?
G.W.: „Luc Frieden. Ich würde ihn fragen, wieso aus dem ungemein lieben und netten Schüler seines Namens, den ich im 1. und 2. Schuljahr betreut habe, ein derart ehrgeiziger, rücksichtsloser, eiskalter Politiker geworden ist.“

(Die Fragen stellten Janina Strötgen und Emile Hengen)