Ingo Schulze hat mit „Peter Holtz“ einen komisch-klugen Roman geschrieben. Peter Holtz legt er Sätze in den Mund, die eine Mischung aus Verwunderung über die rasante Wende 1989 und einer Rückblende auf das ruckzuck weggemanagte kleine Land zeigen.

Das Cover des Buches „Peter Holtz“ von Ingo Schulze
Es ist gefährlich, die Stasi zu reizen. Es sei denn, man heißt Peter Holtz und gleicht dem Simplicius Simplicissimus, der an kein Verhängnis glaubt und als naiver Schelm durch die Zeiten kommt.
Als er als Rocksänger Erfolg einheimsen will, es aber zu wild treibt, weshalb das allgegenwärtige Horch-und-guck-Kommando ihn ins Visier nimmt, sagt Holtz zu den Führungsoffizieren, es hätten sich „zwei Experten von der Partei bei mir gemeldet, die uns unterstützen wollen“. Die Genossen gehen in Hab-Acht-Stellung, die Observation hat sich erledigt.
Der 1962 in der DDR geborene Held von Ingo Schulze, 54, hat neben seinem Sozialismusglauben „ein zweites Standbein“, den Glauben an Gott. „Der Kommunismus ist nur die andere Seite des Christentums“, erklärt er gern Zeitgenossen. Als der Staat 1989 zusammenbricht, steht Peter wacker da. Er war als junger Mann Kommunist, nun macht er auf Kapitalist. Ein Hans im Glück treibt seine Karriere voran.
Parallele zum Autor
Nach vielen Jahren veröffentlicht Ingo Schulze wieder ein Buch. „33 Augenblicke des Glücks“, „Simple Storys“ und „Neue Leben“ waren Bestseller. Nun ein Schelmenstreich. Sein Peter, so alt wie der Autor, wird im Kinderheim erzogen, bis ein Ehepaar ihn adoptiert. Mit zwölf Jahren beginnt er seine Aufzeichnungen, von 1974 bis 1998. Das ergibt insgesamt 109 Kapitel, in zehn Bücher unterteilt. Eine schmunzelnde Ost-West-Geschichte, mit Tempo und Überraschungslust erzählt.

Der Autor Ingo Schulze
Peter kann mit Leuten, ob sie „sozialistische Persönlichkeiten“ sind, wie der Direktor des Heims, der gern Frauen begrapscht, oder ein agiler Rechtsanwalt namens Joachim Lefèvre mit dubioser Vergangenheit, der fatal an einen bekannten Vertreter der Linken-Partei erinnert. Peter hilft ihm beim Aufstieg zum letzten Ministerpräsidenten der DDR. Alles wird noch mal in der Turbulenz nach dem Mauerfall abgespult: ökonomische Krise der DDR, Einführung der D-Mark, Wandel der friedlichen Revolution in ein Hauen und Stechen um Ämter und die Macht des Geldes, die von nun an alles bestimmt.
Schwimmen in der Marktwirtschaft
Peter hat fix die Regeln der Marktwirtschaft gelernt, er macht auf Immobilien, wird reich und dick, weil er sich im KaDeWe vollstopft und ständig Porsche fährt. Er will eine blühende Landschaft im Nachwende-Berlin bauen, die er „Holtz City“ tauft. Er mischt im Galerieviertel von Mitte mit, kumpelt mit Gerhard Schröder und anderen.
„Wir werden den Schwung unserer Revolution nutzen und im Zuge der Annäherung eine grundlegende Wandlung in der BRD bewirken“, tönt der Kapitalistenkommunist. Er hat Geld. Er kauft und verkauft ehemals volkseigene Betriebe, verbrennt aber auch auf dem Berliner Alexanderplatz unter der Weltzeituhr einen Teil seines Geldes, um die Verdorbenheit des kapitalistischen Systems zu brandmarken.
Schulze kennt sich aus
Dann der Schock, als der Geldmacher seiner totgeglaubten Mutter begegnet. Sie will ein Stück vom Kuchen abhaben, obwohl die Eltern einst in den Westen abhauten und ihre minderjährigen Kinder zurückließen. Es gibt noch andere sarkastische Seitenhiebe, aber der Erzählfluss wird gewahrt. Ingo Schulze kennt sich aus, er war dabei und beschreibt die Zeit nicht als Drama und Tragödie, sondern als Komödie.
Seinem Peter Holtz legt er gern Sätze in den Mund, die diese Mischung aus Verwunderung über die rasante Wende und einer Rückblende auf das ruckzuck weggemanagte kleine Land zeigen. „Wer seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat, findet auch früher oder später sein Glück.“ Das trifft längst nicht auf alle zu, die dabei waren. Aber Sozialismus plus Gottesglaube bewirken eben allerhand. Jedenfalls bei einem Hans im Glück.
Von unserem Korrespondenten Roland Mischke
De Maart
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