Glamour, oder ist noch Karneval? Durch einen glitzernden Vorhang aus Lametta lugt zu Beginn ein Frauengesicht und läutet die ersten Takte der Moritat von Mackie Messer ein … Dabei ist die Bühne (Rebecca Ringst) eher minimalistisch gehalten. An einem gigantischen Klettergerüst werden sich die Darsteller:innen fast drei Stunden lang abarbeiten, nach Höherem streben und in die Tiefe stürzen. Die Großstadt als labyrinthisches Raumgeflecht: Brechts V-Effekt lässt grüßen. Denn Achtung: Nicht unterhalten, sondern verfremden und aufrütteln wollte Bert Brecht mit seinen Stücken, allen voran mit der Dreigroschenoper.
Im Jahre 1928 erlebte seine „soziale Moritat“ ihre Uraufführung am Berliner Ensemble am Schiffbauerdammtheater. Grundlage war die Bettleroper von Gay und Pepusch, 1728 als Satire auf Händels „chorlose opera seria“ gedichtet und komponiert. Bei ihrer ersten Aufführung galt die Dreigroschenoper als neuer Typus einer Operette. Trotz ihres Namens ist sie keine durchkomponierte Oper im engeren Sinn, sondern ein politisch engagiertes Theaterstück mit 22 abgeschlossenen Gesangsnummern, für die keine Opernsänger:innen benötigt werden, sondern singende Schauspieler:innen.
Der Mensch, der ist nicht gut
Dass der Mensch unter kapitalistischen Verhältnissen nicht gut sein kann, klingt schon in der Dreigroschenoper an, denn: „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht, da hab’ ich eben leider recht!“ und: „Wir wären gut, anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“ Die Verse sind Ohrwürmer für Fans von Brechts Epischem Theater.
Dabei ist die Pistolen-Handlung (in London im 17. Jahrhundert) bis heute zeitgemäß. In seiner „Bettlergarderobe“ stattet Peachum, der geschäftstüchtige Chef der Firma „Bettlers Freund“, die Londoner Bettler als „Grundtypen des Elends“ aus. Die Absicht seiner Tochter Polly, die noch naiv an Liebe und Romantik glaubt, Macheath (berühmt-berüchtigt als „Mackie Messer“) zu heiraten, will Peachum verhindern, indem er den Straßenräuber der Polizei ausliefert. Doch das Paar kommt ihm zuvor und feiert heimlich im Pferdestall Hochzeit. Nachdem Polly dies ihren Eltern gestanden hat, wird sie Zeugin der Anzeige, die Peachum beim Polizeichef Brown erstattet.
Das Spannungsverhältnis zwischen Brechts Texten und Weills musikalischen Kompositionen, Triumph der offenen Form, macht die Dreigroschenoper zu einem einzigartigen Werk
Von Polly gewarnt, setzt sich Macheath ab und bestimmt seine Frau zu seiner Vertretung als Gangsterboss. Auf der Flucht besucht er im Bordell von Turnbridge seine frühere Geliebte Jenny, die ihn für ein paar Groschen an die Polizei verrät. Befreit wird er dort von seiner einstigen Affäre Lucie, der Tochter des Polizeichefs. Als Peachum Brown mit der Drohung, die bevorstehende Krönungszeremonie durch sein Bettlerheer zu stören, unter Druck setzt, wird Mackie zum zweiten Mal verhaftet und soll gehängt werden; nur noch die Henkersmahlzeit darf er selbst bestimmen …
Mit der der Ganoven-Figur des Mackie Messer zeigt Brecht den Prototyp des patriarchalen Verführers à la Casanova. Er benutzt und kauft sich Sexarbeiterinnen, heiratet verschiedene Frauen und lügt und betrügt sie nach Strich und Faden. Für die israelische Soziologin Eva Illouz ist auch er ein Sinnbild der kapitalistischen Verhältnisse, denn „Ersetzbarkeit und Instrumentalisierung sind der Stoff, aus dem der Kapitalismus gemacht ist“, so Illouz.
Missverstanden zum Erfolg
Brecht selbst schwebte die „erfolgreichste Demonstration des Epischen Theaters“ vor. Die Dreigroschenoper sollte bei ihrer Uraufführung einschlagen wie eine Bombe; doch die Menge verließ die Säle berauscht, nicht aufgerüttelt, sondern bestens unterhalten. So beruhte der Erfolg des Stücks auf einem Missverständnis, wie als Erster Theodor W. Adorno 1929 festhalten sollte. Er kennzeichnete dieses Missverständnis als ein solches einer jeden „neuen Kunst“.
Und doch war das Werk für die Opernbühne revolutionär. Über dessen Urheberrechte brach indes sofort ein Streit vom Zaun, der bis heute andauern sollte: Der Vorschlag und die Vorlage des Textes stammen von Elisabeth Hauptmann, Brecht selbst hatte den Text dann lediglich „bearbeitet“, während Kurt Weill für die Musik verantwortlich zeichnet … Wie auch immer verdarben mehrere Köche in diesem Fall nicht den Brei, sondern schufen ein veritables Wunderwerk.
Zur Inszenierung
Am 7. März und 8. März 2025 um 20.00 Uhr und am 9. März um 17.00 Uhr im Grand Théâtre, Großer Saal
Regisseur Barrie Kosky, ehemaliger Intendant und Neuerfinder der Berliner Komischen Oper, der die Dreigroschenoper im August 2021 am Berliner Ensemble neu inszeniert hat, sieht in den Kompositionen von Weill, die als „Sound der Weimarer Republik“ bezeichnet wurden, das größte Faszinosum. Im begleitend zur Uraufführung seiner Inszenierung ausgeteilten „3 Groschenblatt“ hält Kosky fest, dass Kurt Weill für die Entwicklung des Musiktheaters ebenso wichtig war wie Wagner. Und doch war Weill die Antithese; beeinflusst durch Ferruccio Busoni (bei dem er studiert hatte) wie durch den Jazz, war er von Kindesbeinen an auch geprägt durch seinen Vater, der Chazan (Kantor) in einer Synagoge war. Die erste musikalische Tradition, die Weill prägte, war damit religiöse jüdische Musik; es waren Klänge, deren Wurzeln überall lagen. Dazu kam, so Kosky, der Sound der Großstadt – und Bach!
Weills Kompositionen wie das Lied der Seeräuber-Jenny oder das von der „Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ begründen bis heute den Erfolg der Dreigroschenoper. Bereits 1930 führte man sie in Moskau auf, 1933 in New York. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte sie zu den ersten Stücken, die in Deutschland wieder auf die Bühne gebracht wurden – im Westen wie im Osten. Das Spannungsverhältnis zwischen Brechts Texten und Weills musikalischen Kompositionen, Triumph der offenen Form, machte die Dreigroschenoper zu einem einzigartigen Werk.
Glitzernde Welt: Nur Lug und Trug
In der verruchten Glitzerwelt, in der nach Brecht Halunken und Prostituierte die wahren Held:innen sein sollten, arbeitet im Hintergrund eine Maschinerie, die sich im Kern als asozial erweise, so der 2022 verstorbene Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann. Ein „Räderwerk der alltäglichen Konkurrenz, Kälte der Geldbeziehungen, Nützlichkeit, Profit, Übervorteilung als Regel (…) des alltäglichen Verhaltens“. Alles kommt hier auf den falschen Schein an.

Doch wer Zwanzigerjahre-Glamour sucht, wird diesen bei Barrie Kosky nur am Rande finden. Den ersten Schocker liefert Mackie Messer, als er dem Dirigenten die Partitur aus der Hand reißt und sie anzündet. Wobei der Wink mit dem Zaunpfahl in einer brennenden Welt sehr deutlich ist. Denn nur fünf Jahre nach der Uraufführung der Dreigroschenoper hatten die Nazis auch die Werke Brechts verbrannt. Dennoch bleiben das große Beben und explizite sozialkritische Bezüge in Barrie Koskys Inszenierung aus. Dabei läge doch nichts näher in einer Welt, deren Takt derzeit von Ganoven und narzisstischen Schreihälsen vorgegeben wird.
Starkes Ensemble
Nichtsdestotrotz dürften nicht nur Brecht-Fans ihre Freude haben. Auch, wenn im Grand Théâtre die wunderbare Cynthia Micas wohl nicht in der Rolle der Polly Peachum zu sehen sein wird (statt ihr wird Maeve Metelka in Luxemburg zu sehen sein), können sich die Zuschauer:innen an dem kraftvollen Schauspiel von Meckie Messer (Gabriel Schneider) erfreuen, aber auch Kathrin Wehlisch als urkomischen Tiger-Brown bewundern. Ja, im Grunde ist es das gesamte Ensemble des Berliner Ensembles (BE), das Barrie Koskys Inszenierung der Dreigroschenoper unvergesslich macht. Und natürlich die Songs: „Denn der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht …“
De Maart
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