KinoDie innere Zerrissenheit – Jim Sheridans Blick auf die IRA

Kino / Die innere Zerrissenheit – Jim Sheridans Blick auf die IRA
Jim Sheridan am 11. Oktober bei der Verleihung des „Lëtzebuerger Filmpräis“ Foto: ATP

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Der sechsfach oscarnominierte Filmemacher arbeitet gerade mit Fabrizio Maltese an der Doku-Reihe „Re-creation“, in der Vicky Krieps die Hauptrolle übernehmen soll. Ein Blick auf einen anderen wichtigen Teil seiner Karriere.

Viele Arbeiten des irischen Regisseurs Jim Sheridan beschäftigen sich mit Irland; seit den Anfängen seiner Filmkarriere behandelt er immer wieder die Frage nach der irischen Heimat, so etwa in „In America“ (2003). Aber es sind zuvorderst zwei Filme, die er gemeinsam mit seinem Drehbuchautor Terry George entwickelte, die ihm internationale Anerkennung verschafften: „Im Namen des Vaters“ (1993) und „The Boxer“ (1997). Da nämlich, so scheint es, hat Sheridan sein eindringlichstes Thema gefunden, nämlich den Bürgerkrieg in Nordirland, spezifischer die Frage nach der IRA, der Irisch-Republikanischen Armee, die unter vielen Abspaltungen und terroristischen Gruppierungen Irlands Unabhängigkeit von Großbritannien mit Gewalt durchzusetzen versuchte.

„In the Name of the Father“ (1993)

„In the Name of the Father“ ist ein biografischer Film aus dem Jahr 1993, bei dem Jim Sheridan das Drehbuch schrieb und Regie führte. Der Film basiert auf der wahren Geschichte der „Guildford Four“, vier Personen, die fälschlicherweise für die Bombenanschläge auf einen Pub in Guildford im Jahr 1974 verurteilt wurden, bei denen vier britische Soldaten und ein Zivilist getötet wurden. Fokussiert ist das Justiz- und Gefängnisdrama auf Gerry Conlon (Daniel Day Lewis), der 15 Jahre lang als vermeintlicher IRA-Aktivist unschuldig mit seinem Vater im Gefängnis saß.

„In the Name of the Father“ zeigt, wie nuanciert und auf Zwischentöne achtend Sheridan das Thema behandelt. Die Ermittlungsbehörden und besonders der Gerichtssaal sind bei Sheridan die Hauptachsen, an denen sich die innere Zerrissenheit der irischen Gesellschaft zeigt. Da gibt es ein Rechtssystem, das im Kampf um die politische Stabilität des Landes auf den Schuldspruch zielt, nicht auf die Findung der Wahrheit. Dafür dient zunächst ein kurzfristig erlassenes „Anti-Terror-Gesetz“, auf dessen Basis Conlon sieben Tage lang ohne Rechtsbeistand verhört und körperlich sowie seelisch gefoltert wird, bis er ein vorgefertigtes Geständnis unterschreibt. Doch Sheridans Film unternimmt eine Wende, verlässt den kalten und von Absurditäten gezeichneten Gerichtssaal, um die zwischenmenschliche Resilienz aufzuzeigen, die sich zwischen Vater und Sohn im Gefängnis entwickelt.

Die IRA und deren gewalttätige Ausläufer sind nicht Thema des Films, sie sind vielmehr Kontext stiftender Ausdruck einer gesellschaftspolitischen Instabilität geworden, die den Staatsapparat in Widersprüche und Rechtsbrüche verwickelt, wo doch in Hollywood– obwohl in der Sache nie angekreidet – in zeitgenössischen Produktionen die IRA fortwährend als Feindbild gezeichnet wird. Da gibt es die Tom-Clancy-Adaptation „Patriot Games“ (1992) oder noch „The Devil’s Own“ (1997) – beide Filme zeigen verirrte und bezeichnenderweise junge Menschen, da Sean Bean, hier Brad Pitt (beide in ihren jeweiligen ersten Filmrollen), die vom rechten Weg abgekommen sind. Wichtig anzumerken ist, dass diese amerikanische Perspektive die Sache der IRA nie anprangert, nur deren Bereitschaft zur Waffengewalt.

„The Boxer“ (1997)

Erneut auf ein Einzelschicksal zentriert, aber noch tiefer in das komplexe, spannungsgeladene Konfliktfeld dringt „The Boxer“: „Half my fuckin’ life I pissed away and all the good things in it“, platzt es aus Danny Flynn (wieder Daniel Day Lewis) heraus, dem Protagonisten von Jim Sheridans „The Boxer“, dem Film, der womöglich wie kein anderer den leidvollen, von Kämpfen geprägten Weg eines ehemaligen IRA-Mitglieds zurück in die nordirische Gesellschaft der 90er Jahre beschreibt. Dabei ist der Filmtitel äußerst treffend und doch irreführend zugleich – irreführend, weil er die Genrezuschreibung des Sportlerdramas andeutet, treffend, weil er auf einer metaphorischen Ebene von dem kämpferischen Ringen eines Einzelnen mit der Gesellschaft erzählt. Es ist eine Zustandsbeschreibung, ein Sich-Bewegen im spezifisch nordirischen Milieu. Beachtlich nun aber ist, wie „The Boxer“ im direkten Vergleich zu Hollywood inhaltlich viel ausgewogener vorgeht, sich ferner vom Themenfeld der Anklage der Justiz wegbewegt. Sheridan geht es um eine Identitätsbefragung, die sich in einem ständigen Konflikt zwischen Zugehörigkeitsgefühl und Selbstbestimmung inmitten dieses wütenden Freiheitskampfes behaupten muss – ein Hadern, so komplex und ambivalent, dass am Ende überhaupt nicht mehr erkenntlich ist, wo die klar definierten Feindbilder und Frontlinien denn liegen sollen, so sehr hat sich diese Grenze verwischt. Nach 14 Jahren Haft kehrt Danny Flynn zurück nach Belfast, doch kann er sich nicht mehr in seinen ehemaligen Freundeskreis einfügen, denn die paramilitärische Gruppierung kann ihm nicht verzeihen, die Sache, den politischen Kampf, aufgegeben zu haben. Die leitmotivisch gesetzten Bilder des Schattenboxens sind Ausdruck einer tiefen inneren Seelenpein, sein Bewusstsein für ein nicht gelebtes Leben – die Kampfgesten im Ring übersetzen eine innerlich empfundene Qual nach außen. Der Boxkampf ist für Danny so neue Identitätsfindung und Therapie zugleich; in den engen Bahnen des Rings kann Danny seine einstige Gewaltbereitschaft kanalisieren, sie hat einen Rahmen, der ihm gleichermaßen zu neuer Vitalität verhilft: „When I got into the ring again, you can’t imagine the relief it was to feel the pain“, meint er. In dieser körperlichen wie psychischen Entledigung zeigt sich der Boxkampf als Form der Kompensation: das Boxen als ein Tauschakt der Gewalt; der Terrorist, der zum Kampfsportler wird.

So wie Danny seine Identität im Boxring neu zu definieren versucht, so spitzt sich seine private Situation zu, als er seine Jugendliebe Maggie (Emily Watson) wiederfindet und die Beziehung zu ihr wieder aufnimmt. Maggie, die während Dannys Haftstrafe einen anderen Kameraden heiratete, der aber vor Jahren selbst inhaftiert wurde, riskiert damit die Stabilität innerhalb der IRA-Gruppierung. Maggies Vater (Brian Cox), einer der politischen Köpfe der IRA, setzt sich für einen dauerhaften Frieden ein; die harmonische Koexistenz zwischen Katholiken und Protestanten soll gelingen. Deshalb auch kann er die erneuerte Beziehung seiner Tochter nicht dulden, da sie innerhalb der IRA für ungeheures Konfliktpotenzial sorgen würde. Die wehmütige und schmerzliche Filmmusik von Gavin Friday und Maurice Seezer hat an diesem Effekt einen erheblichen Anteil. Ein streichergetragenes Motiv begleitet die wieder aufblühende Liebe zwischen Danny und Maggie – die Liebe selbst ist hier zum Zeichen einer Instabilität geworden, da sie sich in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft, Kampf und Frieden befindet und jede Sphäre des Lebens durchdringt. Die private Neigung kann und darf sich nicht außerhalb der politischen (Un-)Ordnung entfalten. Die Waffengewalt wird nur sehr punktuell eingesetzt, sie dient Sheridan lediglich als dramaturgischer Knotenpunkt, in einem ansonsten äußerst bedächtigen Film. Immer wieder verweisen Vertreter dieser gewaltvollen Freiheitsbewegung auf das semantische Feld der Kriegsrhetorik, die terroristische Vereinigung bezeichnet sich selbst als „Armee“, deren inhaftierte Kombattanten als „Kriegsgefangene“ gelten – entsprechend entlarvt der Film dies als den Versuch einer Gewinnung der rhetorischen Überhand, eine Legitimationsstrategie bedienend, währenddessen Waffenruhen nicht respektiert werden und somit ein Kriegsrecht nicht eingehalten wird. Die IRA ist in „The Boxer“ zum Ausdruck einer sinnfreien Gewalt geworden, die nicht mehr in Relation zu einer Konfliktbewältigung im bevorstehenden 21. Jahrhundert steht. Geradezu latent wird Dannys Projekt einer Sporthalle für Jugendliche mitgeführt, die im Zeichen generationsstärkender Resilienz außerhalb des waffengetragenen Konflikts steht, der Jugend neue Perspektiven eröffnend.

Luxemburgisch-irische Filmbegegnungen

So überaus irisch das Filmschaffen Sheridans auch ist, mit dem Luxemburger Filmsektor ist er hinlänglich vertraut – in dem luxemburgisch koproduzierten Filmdrama „Words Upon the Window Pane“ von 1994 unter der Regie von Mary McGuckian war Sheridan ein Hauptdarsteller. Auch war er Gast bei dem jährlichen British & Irish Film Festival; zurzeit aber arbeitet der sechsfach oscarnominierte Filmemacher zusammen mit Fabrizio Maltese an einer Dokureihe, „Re-creation“, in der Vicky Krieps die Hauptrolle übernehmen soll – eine Serie, in der der ungelöste Mord an Sophie Toscan du Plantier im Zentrum stehen soll, der Mordfall an einer Französin an der Südküste Irlands.