Die Erinnerung in der Zukunft

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Wie passen Archivarbeit und Datenschutz zusammen? Wie viele juristische Vorkenntnisse braucht ein moderner Archivar, um seine Arbeit zu organisieren? Wo endet der Schutz der Einzelpersonen? Wie arbeitet der Historiker mit Rücksicht auf den Datenschutz?

Mit all diesen Fragen haben sich die Luxemburger Archivare auf ihrem vierten jährlichen Arbeitstag beschäftigt. Die Suche nach den Antworten war nicht einfach.

Die Zeiten, wo der Archivar in einem dunklen Raum saß und dort seine Dokumente stapelte, klassierte oder auseinandernahm und analysierte, sind offensichtlich vorbei. Auch die Archivarbeit kommt nicht um das „worldwide web“ mehr herum. Und wer das Netz in seine Arbeiten einschließt, der muss auf Datenschutz, beziehungsweise auf den Schutz der Privatsphäre achten. Dies vor allem, wenn die Archivarbeit eine relativ kurze Vergangenheit betrifft oder wenn es um besonders heikle Aspekte wie zum Beispiel das Krankheitsbild eines Menschen geht.

Das Thema scheint aktuell zu sein und beschäftigt die mit der Archivierung der Unterlagen beschäftigten Personen. Das sind Fachkräfte aus den verschiedenen Archiveinrichtungen, aber auch Regierungsbeamte, Historiker und Forscher.

Nicht ohne Elektronik

Der Alltag im Archivwesen hat sich stark verändert. Die Direktorin des Nationalarchivs in Luxemburg, Josée Kirps, zeichnete gleich bei der Begrüßung den Rahmen: Die Informatik ersetzt längst die Karteikarten und die von Hand geschriebenen oder annotierten Dokumente.

Inventare und Repertoires sind Online-Datenbanken und hochwertigen Suchmaschinen gewichen. Dadurch wird der Informationsaustausch viel breiter. Die Dokumente können aus der ganzen Welt eingesehen werden.

Diese neuen Möglichkeiten sind allerdings auch mit Gefahren verbunden und werfen Fragen auf: Wie weit geht das Recht auf freien Informationszugang und wo setzt der Datenschutz Grenzen?

Im demokratischen Rechtsstaat dienen Archive vor allem der Transparentmachung staatlichen Handelns. Sie sind der Ort, an dem authentische Quellen für jedermann zugänglich aufbewahrt werden. Sie sollen – im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung – eigentlich auch den Bürgern problemlos offenstehen.

Autoren und Schriftsteller haben sich häufig damit auseinandergesetzt. George Orwell beschrieb 1948 in seinem Roman „1984“ einen totalitären Präventions- und Überwachungsstaat, dessen Hauptfigur im Ministerium für Wahrheit arbeitet, unbequeme Fakten und Daten manipuliert oder löscht und damit die historische Wahrheit für die Öffentlichkeit und die Nachwelt verfälscht. Die Gedankenpolizei überwacht sowohl die Bevölkerung als auch die Vergangenheit.

Heute, im Zeitalter des Internet, ist der Zugang zu Informationen ein Schlüsselbegriff. „Die Informationstechnologie revolutioniert unser Verständnis von Raum, Zeit und sogar vom Sinn des Lebens“, schrieb der amerikanische Autor Jeremy Rifkin im Jahr 2000 und warnte vor dem Streben nach Zugang und Zugriff auf Netzwerke.

Politische Grenzen

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Luxemburg konkret erfahren, wo die Grenzen und Gefahren des persönlichen Datenschutzes liegen, als das Archiv des Geheimdienstes plötzlich in die Schlagzeilen geriet und ein Gespräch öffentlich wurde, das der Chef des Geheimdienstes mit einer präparierten Uhr im Büro von Staatsminister Jean-Claude heimlich aufgenommen hatte.

Je weiter die Untersuchung fortschritt, umso mehr Fragen tauchten auf und die Grenzen zwischen politischer Verantwortung und Rechtslage wurden immer verworrener und endeten letztendlich – und vorläufig – in vorgezogenen Neuwahlen.

Das ist natürlich ein Extremfall, aber er ist möglicherweise auch nur die Spitze des Eisbergs. In ganz Europa ist die Frage akut, die entsprechende europäische Regelung ist seit 18 Monaten in Arbeit. Weil es noch keine europaweite Regelung gibt, unterliegt der international tätige Forscher den jeweiligen nationalen Gesetzen. „Ein ständiger Balanceakt zwischen dem Recht auf Vergessen und der Verpflichtung auf Erinnerung“, definiert Paul Dostert, Direktor des Forschungs- und Dokumentationszentrums über die Resistenz, die wissenschaftliche Arbeit über eine noch relativ naheliegende Vergangenheit.

So darf der Forscher die in den Dokumenten enthaltenen Namen erfahren und in den historischen Kontext setzen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen, aber nicht veröffentlichen.

Die Frage ist nicht neu. Sie stellt sich schon seit der Erfindung des Fotoapparates und wird mit der Möglichkeit, mit dem Mobiltelefon jederzeit und alles zu fotografieren, noch akuter.

Interessant waren in diesem Zusammenhang auch die Erfahrungen der Historikerin Renée Wagener in ihrer Recherche über die Biographie der LSAP-Politikerin Lydie Schmit.

Personenschutz?

Die Politikerin hatte bereits zu Lebzeiten ihre persönlichen Dokumente dem Nationalarchiv zur Verfügung gestellt und akzeptiert, dass private und politische Angelegenheiten mitunter verschmelzen. Das hat die Forscherin aber nicht von der Pflicht auf Datenschutz entbunden.

Das veranschaulichte Wagener am konkreten Beispiel des Personalstandes der Politikerin. Sie war in jungen Jahren verlobt gewesen, hatte diese Bindung jedoch früh gelöst. Spätere Männerbekanntschaften waren nicht bekannt, dafür ist in ihrer Biographie von einer sehr starken Bindung an die Mutter die Rede und von Vermutungen lesbischer Beziehungen. „Es gab dafür keine Anhaltspunkte. Es war schwierig für mich, richtig mit diesen Informationen umzugehen. Totschweigen oder ansprechen?“, veranschaulichte Wagener ihr Dilemma und stellte die Frage anders herum: „Was ist für die Forschung relevant?“ Das Beispiel mag punktuell sein, es veranschaulicht die Nähe und die Empfindsamkeit der Wissenschaft und des Personalschutzes. „Von uns wird ein sehr bewusster Umgang und ein sehr großes Feingefühl bei persönlichen Angaben erwartet“, meinte auch der Familienforscher Georges Eicher, der im Namen der mittlerweile sehr gefragen „Luxroots“ sprach. Bei der Ansprechstelle für Familienforschung, die hauptsächlich von Freizeit-Archivaren betrieben wird, sind inzwischen 840.000 Familienakten registriert. Täglich gehen bis zu 500 Anfragen ein. „Wir könnten die Hilfe eines Juristen gut gebrauchen“. Der Appell kam nicht nur von den Freizeitarchivaren.