Freitag21. November 2025

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Das Bekannte verlassen

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Der andere Norweger, Tomas Espedal, 55, erzählt ebenfalls aus dem Ich-Universum. Aber poetischer, sorgfältiger, rücksichtsvoller, zudem verknappt, nicht so ausschweifend. Und stets auf der Suche nach den blitzartigen Klarheitssekunden der Erkenntnis und der Schönheit. Schon Espedals Frühwerk „Biografie Tagebuch Briefe“ zeigt, dass er ein bedeutender Literat ist. Während man bei Knausgard alles über sein Leben erfährt, erfährt man bei Espedal viel über das Leben an sich. „Wenn ich nicht schreibe, bin ich nichts“, schreibt Espedal. Und das wird nicht nur hingeschrieben, sondern begründet.

„Das Wohnzimmer, Holzboden, erd- und grasfarbene Möbel, zwei Sessel und ein Wohnzimmertisch, von Büchern bedeckt“, heißt es. Der Autor begegnet seinem Leser mit der Erklärung vom Umfeld, in dem seine Bücher verfasst werden. Das geschieht nicht isoliert, sondern im urbanen und sozialen Kontext. „Die Stadt da unten, jeden Tag ersteht sie aufs Neue.“ Gemeint ist Bergen, Espedals Heimatstadt in der Mitte Norwegens. Aber jetzt: „Mächtig wie Gewitter strömt der Sommer herein.“

Es bleibt nicht lange ungetrübt. Seine geliebte Mutter stirbt, bald darauf folgt seine Ehefrau Agnete, er bleibt rat- und hilflos mit der Tochter zurück. „Ich saß an ihrem Bett, als sie starb. Hatte die Hand auf ihr Herz gelegt und spürte, dass es zu schlagen aufhörte.“ Das ist dezent geschrieben, der Schmerz wird intim festgehalten. Doch der Schock folgt. Espedal hatte sich auf das Ende seiner kranken Frau vorbereitet. Doch was dann geschah, das wirft ihn um: „Du wirst aus dem Haus getragen.“ Unwiderruflich, ein Schreckensanblick, den er nie vergessen wird. Nur das Schreiben schafft etwas an Erlösung.

Das Schreiben als Wagnis 

„Was ich meistere und kann, interessiert mich nicht. Die Bücher, die ich schreiben könnte, schreibe ich nicht… Ich versuche das, was ich kenne und kann, zu verlassen.“ An anderer Stelle wird das noch mal bekräftigt: „Mir wurde früh klar, dass meine eindrucksvollsten Erlebnisse dort stattfanden, wo nichts geschah.“

Die Welt wird Tomas Espedal nur zugänglich, wenn er sie in Sprache formt. Genau besehen lebt er in einer Zwischenwelt – und darin ereignet sich Wesentliches. Was das Wesentliche ist? Espedal kann es nur umschreiben. Etwa „eine ganz neue Art, derselbe zu sein“. Die Erwartungen umzustülpen, die eigenen und die anderer an ihn. Er behauptet an einer Stelle, dass es ihm Freude mache, ohne Beruf, ohne Zukunft zu sein. Er trinkt viel Alkohol in Kneipen, in denen er sich dennoch fremd fühlt. Er hat Sex mit Frauen, die ihn nicht besonders interessieren. Er wandert durch die Natur, Erinnerungen steigen auf. Er kehrt zurück in seine Wohnung, aus der er sich nicht viel macht, weil er ständig unterwegs ist. Dann, wenn er von einer Reise zurückkommt, „ist diese Wohnung nichts als ein Zuhause, das wartet. Ein Wartehaus.“

Suche nach dem Kern

Während Knausgard sein Leben als Ganzes nimmt und nichts daneben mehr gelten lässt, will Espedal aus seinem Leben schöpfen. Er sucht seinen Kern, er meditiert, stellt sich seiner offenkundig abgrundtiefen Trauer und kokettiert sogar mit der Sehnsucht, einfach zu verschwinden und nichts zu hinterlassen. Doch seine Tochter ist stärker, sie holt ihn, ohne es selbst zu wissen, durch ihre Lebendigkeit immer wieder ins Dasein zurück. Ein großes Buch.

 

 

 

 

Tomas Espedal: „Biografie Tagebuch Briefe.“ Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Matthes & Seitz, Berlin, 2017, 347 S.