Samstag15. November 2025

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„Das Bedürfnis nach Kunst stillen“

„Das Bedürfnis  nach Kunst stillen“

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Am Samstag weilte der kubanische Liedermacher Pedro Luis Ferrer für ein Konzert in Luxemburg. Wir unterhielten uns mit ihm über seine Arbeit, die Kunst im Allgemeinen und über Kuba.

Kuba assoziieren wohl die meisten Menschen mit Sonne, Zigarren und Mojito. Spricht man über die dortige Musik, denkt man an Salsa und Mambo. In diesem Bereich hat die Insel jedoch mehr zu bieten als kommerzielle Tanzmusik.

Logo" class="infobox_img" />Pedro Luis Ferrer. (Foto: Fabrizio Pizzolante)

Pedro Luis Ferrer, ein kubanischer Chansonnier, gastierte am vorigen Samstag in der „Brasserie de l’Arrêt“ in Merl, dem Kuba-Treffpunkt in Luxemburg. Laut Ismael Ramos, dem Betreiber der „Brasserie“, kennt fast jeder auf Kuba Ferrers Lieder, auch wenn die jüngere Generation nicht mehr unbedingt wisse, wer der Autor ist.

Herr Ferrer, sehen Sie sich eher als Poet oder als Sänger?

Pedro Luis Ferrer: „Ich sehe mein Projekt als ein Ganzes, die Poesie und die Musik sind beides Teil meines Vorhabens. Ich mache da keinen Unterschied, obwohl es sich dabei um zwei verschiedene Welten handelt, die sich aber in meinen Liedern vereinen.“

Welche Themen behandeln Sie in Ihren Liedern?

P.L.F.: „Es handelt sich dabei um alle erdenklichen Themen. Ich glaube, alle Themen sind ’singbar‘. Auch hinter den Sachen, die ‚trivial‘ erscheinen, kann sich eine gewisse Ästhetik verstecken. Ich singe sowohl über die Liebe wie auch über sozial-politische Themen, über das alltägliche Leben und die Probleme der Menschen auf Kuba.“

Es gab eine Zeit, in der Sie nicht auf Kuba auftreten durften. Wie ist das heute?

P.L.F.: „In Kuba ist man viel flexibler geworden, vor allem, wenn es um Sozialkritik geht. In den 90er-Jahren ging man damit noch viel strenger um.“

Sie dürfen also singen und sagen, was Sie wollen?

P.L.F.: „Ja. Die konstitutionellen Freiheiten sind größer als in den 90er-Jahren. Man kann viel mehr offen sagen.“

Wie sehen Sie sich selbst als Oppositioneller in Beziehung zu der politischen Macht?

P.L.F.: „Nein. Die Macht, die mich interessiert, ist die des kubanischen Volkes. In Kuba hat sich vieles durch die Praxis geändert. Was heute offiziell erlaubt ist, hat die Bevölkerung schon lange vorher getan.

Die Gesellschaft wird immer zu ihrem kommen und sich durchsetzen. Was mich interessiert ist das, was das Leben auf Kuba verbessert, eine Politik für das Wohl der Gesellschaft.“

Ich habe gelesen, dass Sie sehr kritisch zur (kubanischen) Revolution stehen.

P.L.F.: „Ich glaube, dass man viel über die Revolution redet, aber nicht genug über die Evolution. Viele Dinge auf Kuba haben weniger mit Politik als mit Kultur zu tun. Oft entspringt die Politik, die gemacht wird, unserer Kultur. Wenn wir keine demokratische Kultur haben, können wir auch kein demokratisches Projekt haben.“

Was verstehen Sie unter „demokratisches Projekt“?

P.L.F.: „Ein demokratisches Projekt ist ein Projekt, das die Vielfalt anerkennt, ein Leben in Harmonie und im Respekt.“

Ist es einer einzigen Partei an der Macht überhaupt möglich, die Vielfalt der Gesellschaft anzuerkennen?

P.L.F.: „Meiner Ansicht nach ist eine einzige Partei das Gleiche als gäbe es keine Partei, weil Partei auch Teil bedeutet (spanisch ’partido‘ – Partei ist verwandt mit dem Wort ’parte‘ – Teil, d.Red.). Wenn es keine demokratische Kultur gibt, tut sich nichts auf demokratische Art und Weise. Zu der Zeit, als es ein Mehrparteiensystem auf Kuba gab, wurden die Meinungsverschiedenheit mit Waffen auf der Straße ausgetragen.“

Akzeptiert denn die politische Führung in Kuba die Vielfalt der Gesellschaft?

P.L.F.: „Die Frage ist nicht, ob die politische Führung die Vielfalt akzeptiert oder nicht, sie ist da. Wenn die Partei die Vielfalt nicht akzeptiert, wird sie sich selbst ins soziale Abseits manövrieren. Ich glaube, dies ist ein sehr komplexes Thema wegen unserer Geschichte, weil wir eine Demokratie mit vielen Parteien nie kannten. Ein Mehrparteiensystem ist kein Zauberstab, mit dem man eine Gesellschaft demokratisiert.“

Glauben Sie, es ist möglich, sich als Liedermacher nicht mit Politik zu beschäftigen?

P.L.F.: „Ich weiß es nicht, ich kann es nicht. Die Politik ist Teil meines täglichen Lebens. Die Politiker treffen Entscheidungen, die mich betreffen. Als kubanischer Bürger habe ich das Recht, meine Meinung zu sagen und mit Sachen nicht einverstanden zu sein, die mir schaden. Politische Entscheidungen beeinflussen alle Bürger. Und auch als Künstler bin ich immer noch ein Bürger.

Demjenigen, der keine Fragen stellt, gibt die Kunst auch keine Antworten. Wer keine politischen Sorgen hat, wird auch keine Antworten suchen.“

In welchem Moment Ihres Lebens entschieden Sie sich für diesen Beruf?

P.L.F.: „Das Einzige, was ich je in meinem Leben machen wollte, war singen und Poesie schreiben. Nie wollte ich etwas anderes.“

Wann dachten Sie denn daran, dass Sie es professionell machen könnten?

P.L.F.: „Die Leute zeigten mir, dass das, was ich tue, ihnen gefällt. Das wiederum hat mich dazu ermuntert, meine Arbeit zu vertiefen.“

Was kam zuerst: Gedichte schreiben oder Gitarre spielen?

P.L.F.: „Hmm … (überlegt). Was tat ich? Ich kann das nicht genau sagen. Es waren zwei Welten, die parallel existierten. Ich schrieb schon sehr früh kleinere Sachen. Mein Vater war ein Lyriker, mein Onkel auch. Ich lebte von kleinem an in einem Umfeld, das der Poesie förderlich war. Ein anderer Onkel war ebenfalls Liedermacher. Ich hatte auch eine Tante, die Klavierlehrerin war. Ich hatte also Kontakt zu den beiden Welten. Heute glaube ich, Lieder sind keine Poesie. Ein Lied kann Poesie beinhalten, aber ein Lied ist ein Lied. Die Poesie ist ein eigene Welt. Es gibt zwar eine Verbindung zwischen Liedern und Poesie, ich würde sogar sagen eine poetische, aber Texte für Lieder müssen ja den Gesetzen der Musik gehorchen.“

Sie sagten, Sie besingen vor allem das Leben auf Kuba. Wie nehmen die Menschen anderswo Ihre Texte auf?

P.L.F.: „Klar, um die Texte zu verstehen, die von Kuba handeln, muss man die kubanische Realität kennen. Ich will aber nicht nur über Kuba in politischen oder sozialen Kategorien sprechen, sondern auch im ‚technischen‘ Sinne, was die musikalische Form angeht. Ich habe mich stets für die traditionellen Musikstile Kubas und deren Wurzeln interessiert, auch die am wenigsten bekannten, wie der Changui.“

Unterscheiden sich Ihre Konzerte im Ausland von denen, die Sie in Kuba geben?

P.L.F.: „Nein, da gibt es keine Unterschiede, weder was den Stil der Musik noch die politische Botschaft betrifft. Ob es nun in Miami oder Havanna ist, das Konzert ist das gleiche. Was ich in Kuba nicht singen kann, das singe ich auch nicht anderswo.“

Welche Botschaft wollen Sie mit Ihren Liedern vermitteln?

PL.F.: „Ich will das Bedürfnis der Gesellschaft nach Kunst stillen. Aber Kunst stillt nicht nur Bedürfnisse, sondern schafft sie auch. Mein Vater und mein Onkel lehrten mich, dass es im Leben nur zwei Dinge gibt: die Kunst und Stümperei. Man macht etwas mit Liebe und Kunst, oder man macht es schlecht. Man muss für die Kunst in der Menschheit kämpfen.“

Denken Sie, dass die Kunst das Einzige ist, für das es sich lohnt, zu leben?

P.L.F.: „Nein, das glaube ich ganz ehrlich nicht. Schönheit kann sich in vielen Formen äußern, in der Wissenschaft, in der Politik, wie auch in der Kunst. Für mich ist Kunst wichtig, weil ich mich ihr widme. Die Gesellschaft dürstet nach Kunst, und ich wünsche mir, dass der Mensch mit Kunst lebt, Kunst nicht im Sinne der ‚Künste‘, sondern im Sinne ‚die Kunst schön zu leben‘, in Harmonie zu leben, in Wohlstand, mit Respekt. Mit meinen Liedern will ich den Menschen das Schöne zeigen, zu dem der Mensch fähig ist.“