Fotografie verändert sich. Doch sie ist immer auch ein Spiegelbild unserer Zeit. Spiegelten Edward Steichens Fotoarbeiten „The Bitter Years“ einst eindrücklich die Weltwirtschaftskrise, Armut und die große Depression in den USA der 1930er- und 40er-Jahre wider, beschleicht einen beim Gang durch die Foto-Ausstellung „Beyond the Frame. Rethinking Photography“ im MNAHA der Eindruck einer surreal-unwirklichen Welt, die uns irgendwie entgleitet.
Die zehnte Auflage des EMOP nimmt das Leitmotiv „Rethinking“ wörtlich und hinterfragt mit fulminanten Arbeiten die Rolle der Fotografie in Zeiten von KI und digitaler (Massen-)Kommunikation. Das ist angesichts der Menge der Bilder, die täglich auf uns einwirken, uns vermeintlich überschwemmen, nur konsequent.
Es sind Arbeiten von sechs internationalen Künstler*innen sowie der Escherin Letizia Romanini, die derzeit im Rahmen des #EuropeanMonthofPhotography (EMOP) im MNAHA zwischen Abstraktion und klassischer Fotografie changieren und einen geheimnisvoll, Science-Fiction-haft anlocken.

2006 hat die „Café-Crème asbl“ mit Paul di Felici die Ausstellungen im Rahmen des EMOP ins Leben gerufen. Er hat auch diese zehnte Auflage im MNAHA in Zusammenarbeit mit Ruud Priem kuratiert. Ihre Szenografie fällt bereits aus dem Rahmen, indem sie auf Installationen setzen, die einem die schier unermesslichen Möglichkeiten des fotografischen Mediums vor Augen führen.
Sieben Künstler*innen aus sieben Ländern
Die Künstler*innen erforschen verschiedene Aspekte der experimentellen Fotografie und spielen mit Abstraktion, Licht, Materialität und Raum, indem sie sowohl traditionelle als auch innovative Techniken anwenden.
Jessica Backhaus etwa schafft in ihrer Serie „Plein Soleil“ lebendige Bilder aus Papier, das sie faltet und mit Hitze transformiert. Dabei verwendet sie sowohl minimalistische als auch abstrakte Kompositionen. Backhaus kreiert farbenfrohe Kompositionen aus Papierblättern und Sonnenlicht und spielt mit Transparenzen, weichen Tonalitäten und hart wirkenden Schatten. Diese Herangehensweise, charakteristisch für sie seit ihrer Serie „Cut Outs“ (2021), stellt ihre Arbeit in eine Reihe mit minimalistischen Bewegungen in der Malerei der Moderne, wie der Farbfeldmalerei des abstrakten Expressionismus.
Marta Djourina experimentiert hingegen mit Fotogrammen und dreidimensionalem Fotopapier, wodurch ihre Werke eine skulpturale Dimension erhalten. Auf ihre Werke stößt man unmittelbar am Ausstellungsrundgang – ein erster Flash! Sie erforscht die Prozesse und Grenzen der analogen Fotografie, indem sie Licht gezielt – sei es von Lasern oder biolumineszierenden Organismen – als Material einsetzt. In ihrer Dunkelkammer wird das lichtempfindliche Papier zu einer Leinwand, die durch Gesten oder technische Bewegungen geformt wird. Die großformatigen Kunstwerke, die sie im Ausstellungsraum des MNAHA präsentiert, wirken eher wie Skulpturen als wie traditionelle Fotografie.
Joan Fontcubertas florale Motive, generiert mit KI

Wie ehrlich sind Fotos, und in Bezug auf was? In seinen Arbeiten am Ende des Ausstellungsrundgangs lotet Joan Fontcuberta in seiner „Herbarium-Serie“ die Grenzen der Fotografie aus. Es verschmelzen Realität und Fiktion. In der Serie „De Rerum Natura“ nutzt er KI, um imaginäre Pflanzen zu erschaffen, die von Beschreibungen der ersten Kolonisatoren, der „Entdecker“ Amerikas, inspiriert sind. Alice Pallot erforscht in „Algues Maudites, A Sea of Tears“, einer Serie von Fotografien, die durch visuelle Verschmutzung verändert wurden und sich auf Grünalgen und die Bedrohung der biologischen Vielfalt konzentrieren, die Auswirkungen des Klimawandels.
Verfluchte Algen als Bedrohung
Die in Brüssel lebende französische Fotografin setzt sich in einer halbfiktionalen Erzählung mit einem sehr realen, aktuellen Umweltproblem auseinander: Ihr Projekt untersucht das Grünalgenproblem an der bretonischen Küste. Diese „verfluchten Algen“, die das Ergebnis intensiver Landwirtschaft und anderer menschlicher Aktivitäten sind, stellen eine ernsthafte Bedrohung für die menschliche Gesundheit und die lokale Umwelt dar.

Letizia Romanini beschäftigt sich mit der Erinnerung und Transformation in Bildern, die auf verschiedene Zeiten und Orte verweisen und Techniken wie Siebdruck verwenden. Beeindruckend ihre Arbeiten zur „Grotte di Frasassi, Genga“, die eine Reihe von unterirdischen Karsthöhlen zeigen, die in den 1970er-Jahren in der Nähe von Pesaro entdeckt wurden. Damit schafft die Künstlerin eine Hommage an ihr italienisches Erbe und bringt ihre Faszination für die allmähliche Bildung von Stalaktiten und Stalagmiten zum Ausdruck. Jorma Puranen, einer der führenden Vertreter der Helsinki School, dekonstruiert die traditionelle Fotografie und thematisiert die Beziehung zwischen Landschaft, Fotografie und Bildhaftigkeit. Sein Werk hat bereits viele zeitgenössische Künstler beeinflusst.
Weitere Infos
„Beyond the Frame – Rethinking Photography“, EMOP 2025, mit Fotoarbeiten von Jessica Backhaus, Marta Djourina, Joan Fontcuberta, Alice Pallot, Jorma Puranen, Letizia Romanini und Joost Vandebrug, noch bis zum 16. November 2025 im Nationalmuseum am Fischmarkt (MNAHA) zu sehen. Weitere Informationen unter: nationalmusee.lu.
Joost Vandebrug interpretiert fotografische Techniken aus der Vergangenheit neu und verwendet dabei traditionelle Verfahren und Materialien, um Bilder zu schaffen, die sich der klassischen Darstellung entziehen und die Materialität und Zeitlichkeit der Fotografie betonen. In dieser eindrucksvollen Gruppenausstellung sprengt jede*r der sieben Künstler*innen den klassischen Rahmen der Fotografie, hinterfragt die Fotografie als Medium ganz grundsätzlich, aber auch in ihrer Fähigkeit zur Darstellung der Realität, und ihren Platz in einer zunehmend digitalen, ja postfotografischen Welt. Am Ende des Rundgangs blickt man irritiert-verstört zurück und fragt sich, was davon wahre Fotokunst und was KI-generiert war.
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können